Der kleine kulinarische Grenz-Verkehrer
NACHRUF / GÜNTHER SCHATZDORFER
07/06/11 "Zur derzeitigen politischen und sozialen Entwicklung der euroamerikanischen Gesellschaft fällt ihm nichts mehr ein" - das steht auf der Website von Günther Schatzdorfer - und war, man lese seine letzten Bücher, die Untertreibung schlechthin.
Von Reinhard Kriechbaum
Wenn man etwas im besten Sinn Erd-Gebundenes erfahren wollte über das kleinräumige Denken im großen Europa, über Grenzen und über deren Überschreiten, dann ist man von Günther Schatzdofer bestens bedient worden. Schwer unrecht täte man ihm, wenn man sagte: Seine kulturellen Vorlieben gingen durch den Magen. Aber es waren tatsächlich seine von Kultur-Beobachtungen gespickten Kulinarik-Bücher, die immens viel vom Denken der Menschen offenbarten, mit denen Günter Schatzdorfer so gerne beisammen saß, aß und trank.
Der in Salzburg aufgewachsene Schriftsteller und Maler, der sich den oberen Adriaraum "zwischen Isonzo und Piave" zur Wahlheimat erkoren hatte, war ein genauer Menschenbeobachter. Einer, der es verstand, zuzuhören und der den Leuten viel von ihren inneren Überzeugungen entlockt hat. Sein Büchlein über Triest und der Bnd mit "Triestiner Porträts" (im Carinthia Verlag, 2006 und 2008) sind eine Bestandsaufnahme in einer Region, die über Jahrhunderte geprägt war vom fruchtbaren Austausch zwischen unterschiedlichen "Leitkulturen", die geblutet hat unter den aufflammenden Nationalismen und den unvermeidlichen Grenzziehungen.
Von Duino aus hat Schatzdorfer - als, wie Claudio Magris mehr als zweideutig sagte, "spiritus frector" des Hafenstädtchens - die Grenzen im Bergland hinter Triest beobachtet. Oder genauer: Er hat die Menschen und ihre Gefühle beobachtet an der Schnittstelle zwischen slawischem und romanischem Lebensgefühl in der Erbschaftsmasse des österreichischen Doppeladlers. In pointierten Porträts hat er aus den Weinbauern und Lokalbesitzern, den Käuzen und Eigenbrötlern herausgekitzelt, wie sehr sie geprägt sind von den geistigen Grenzgängen. Im Gespräch mit Schatzdorfer hat sich mancher einfache Fischer sich als wahrhaft Intellektueller erwiesen.
Erwin Steinhauer, Wolfgang Böck - das waren in den letzten Jahren Freunde und kulinarische Wegbereiter von Günther Schatzdorfer. Mit ihnen hat er kulinarisch-kulturelle Reisen in die Lagune von Venedig und ins karstige Hinterland gemacht ("Einfach.Gut" und "Besser. Einfach"), aber auch der autochthonen Gaumenfreude nachgetrauert ("Fünfzig Jahre Appetit. Eine kulinarische Nacht zwischen Adria und Neusiedlersee"). Wenn Schatzdorfer zuletzt über Duino und seine Freunde rund ums Hafenbecken schrieb, über die Zeitläufte, dann begegnete einem nicht nur viel Selbstironie, sondern auch ein gehöriger Schuss Melancholie.
Als Satiriker hat man den 1952 in Oberösterreich Geborenen auch wahrgenommen. Schatzdorfer hat in Salzburg maturiert, war als Dramaturg am Landestheater tätig und hat sich in den achtziger Jahren immer wieder ins literarische Leben der Stadt eingebracht - aber da war er mit dem Kopf längst in Duino, im Veneto, im angrenzenden Slowenien. Der kleine Grenzverkehr, kulinarisch wie kulturell und vor allem jener in der seelischen Eingrenzung durch politische Barrieren: Das war bald sein Hauptthema.
Gemalt hat er auch, zuletzt vor allem in der Lagune: reduzierte Motive mit viel Himmel und Sand. Ein klarer Blick auch da.
Günther Schatzdorfer ist, wie erst jetzt bekannt wurde, am 25. Mai in Wien einer langwierigen Krankheit erlegen.