Europas Hunde
HINTERGRUND / LESUNG ALHIERD BACHAREVI
21/02/24 Der Tod von Alexej Nawalny hat wieder nachdrücklich in Erinnerung gerufen, wie schlecht es um die Menschenrechte steht – nicht nur in Russland, sondern auch in Belarus. Von dort kommt der Autor Alhierd Bacharevi, der am 27. Februar im Theater im KunstQuartier aus seinem Roman Europas Hunde liest.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Buch um die konstruierte Sprache Balbutaist erst seit heuer auch in deutscher Sprache erhältlich im Verlag Voland & Quist. Es ist das Opus magnum des 1975 in Minsk geborenen Schriftstellers. In dem neunhundert Seiten starker Roman lotet Alhierd Bacharevi visionär die Lage unseres Kontinents aus und findet Sprache und Form für eine beunruhigende Gegenwart. Bacharewitsch lebte und arbeitete zeitweise in Graz, wo er gemeinsam mit seiner Ehefrau Julija Zimafejewa im Dezember 2020 als „Writers-in-Exile-Stipendium“ aufgenommen wurde.
Alhierd Bacharevi schreibt ausschließlich Belarussisch. Diese Sprache hat sich im Mittelalter aus dem Altostslawischen unter dem Einfluss von mündlichen Dialekten auf dem Territorium des heutigen Belarus ansässiger Stämme entwickelt. Die aktuelle Sprachform wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt. Wie viele Menschen tatsächlich Belarussisch sprechen, darüber gibt es je nach politischer Perspektive ganz unterschiedliche Angaben. Diese schwanken zwischen 2,5 und etwa 7,9 Millionen Muttersprachlern. In Belarus (Weißrussland) ist es die zweite Amtssprache.
Erst nach der Revolution von 1905 konnten legal Bücher und Zeitungen gedruckt werden. Nachdem 1917 der erste Versuch scheiterte, einen eigenen weißrussischen Staat zu gründen (es wurde fortan die Sowjetrepublik Weißrussland), kam bald auch die Sprache unter Druck. 1933 wurde durch eine Orthographiereform die Annäherung an das Russische erzwungen, auch Wortschatz und Grammatik standen seitdem unter russischem Einfluss. Erst unter der Perestroika kam es zu einer Wiederbelebung der belarussischen Schriftsprache. Es gab Bestrebungen, die 1933 abgeschaffte traditionelle Orthographie (nach ihrem Entwickler Branislau Taraschkewitsch unter dem Namen Taraschkewiza benannt) wiedereinzuführen. Seit dieser Zeit konkurrieren faktisch zwei Systeme, nämlich die Taraschkewiza (von Emigranten und aktiven Belarussischsprechern bevorzugt) und die sowjetische Narkomauka. Der Diktator Lukaschenko akzeptiert logischerweise nur letztere, Alhierd Bacharevi schreibt wie andere Dissidenten und Regimekritiker Taraschkewiza.
Die belarussische Schriftsprache wird jedenfalls nur von einer kleinen intellektuellen Schicht in den Städten gesprochen. Auf dem Land sind belarussische Dialekte verbreitet sowie eine Übergangsform zwischen dem Belarussischen und dem Russischen, die abwertend als Trassjanka („Gemenge aus Getreidekörnern und Kleinstroh“) bezeichnet wird.
Moderiert wird der Leseabend von Alhierd Bacharevi in Salzburg vom Übersetzer Thomas Weiler, die deutschen Passagen werden von Schauspielstudenten des Thomas Bernhard Instituts gelesen. Veranstalter sind der Literaturverein prolit und das Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum. Das im Sommersemester 2022 ins Leben gerufene Solidaritätsnetzwerk Practicing Care der Universität Mozarteum ist ein langfristig angelegtes Projekt, das die transnationale gesellschaftliche Verantwortung einer Kunstuniversität in den Mittelpunkt stellt. Die zahlreichen neuen Protestformen und dezentralen Care-Netzwerke, die in den Aktivitäten der belarusischen Opposition im Jahr 2020 Ausdruck fanden und vorrangig von Frauen angeführt wurden, standen Pate in der Ausgestaltung dieses Projektformats. Maria Kalesnikava, Flötistin und inhaftierte Widerstandskämpferin, wurde 2022 eine Ehrenprofessur der Universität Mozarteum verliehen.
Im Rahmen von Practicing Care wurden auch Residenzen für in besonderem Maße für die Demokratie engagierte Künstlerinnen und Künstler ausgeschrieben und eine Ehrenprofessur an die belarusische Flötistin und Pädagogin Maria Kalesnikava vergeben. Es fanden auch Lesungen, Vorträge, Gespräche und Workshops statt, unter anderem mit dem Musiker Lavon Volski, der Philosophin Olga Shparaga, der Journalistin Gilda Sahebi und der Schauspielerin Maryna Yurevich.