Zuerst Rauris, dann Klagenfurt
BACHMANNPREIS 2019 / BIRGIT BIRNBACHER
01/07/19 Die 1985 in Schwarzach im Pongau geborene Autorin Birgit Birnbacher gewinnt den Bachmannpreis der 43. Tage der deutschsprachigen Literatur. Sie überzeugte beim Klagenfurter „Wettlesen“ mit ihrem Text Der Schrank, in dem sie von einem Leben in Salzburg weit ab von Festspiel Glanz und Glimmer erzählt.
Von Heidemarie Klabacher
Ob stART-Festival und Hymnen-Dichtung oder Kulturpreisverleihung und Jahresstipendium des Landes Salzburg. Ob Shortlist zum Rauriser Literaturpreis oder SALZ zu den Rauriser Literaturtagen: Allein auf DrehPunktKultur finden sich zu Hauff Beiträge über die geborene Pongauer Autorin.
„Birgit Birnbachers Figuren lassen Wale steigen, leihen sich Geld bei der Bank für eine Fischbude in Camden, klettern einarmig auf den Springturm im Freibad...“, heißt es auf der Website des Salzburger Verlages Jung und Jung über ihren 2016 erschienen Roman Wir ohne Wal. „Was die Erzählungen als Ganzes ergeben, ist ein vielschichtiges, lesenswertes Porträt der Generation Whatsapp. … Birnbachers Ich-Erzählungen setzen meist gekonnt auf Verdichtung, Andeutungen und Leerstellen; sie springen gleich mitten ins Geschehen oder in die dahinjagenden Gedankenströme ihrer Figuren und richten sich einmal empört, dann wieder mit voller Trauer an ein noch unbekanntes Gegenüber. Es dauert, bis man sich die jeweilige Situation des Sprechers erschlossen hat, was ebenso reizvoll ist wie das Herstellen der, auch chronologischen, Bezüge der Texte untereinander. Kurz: ein geglücktes Debut“, schrieb Oliver Pfohlmann in der Neuen Zürcher Zeitung.
„Dass Birnbacher ein Bouquet scheinbar autonomer Geschichten versammelt, kollidiert nur auf den ersten Blick mit dem Gattungsanspruch des Romans“, analysierte Gerhard Melzer in seiner Rezension in der Tageszeitung Der Standard, aus der ebenfalls auf der Verlags-Site zitiert wird: „Nach und nach erweist sich, dass diese Geschichten eine genaue soziale Topografie markieren. In ihrem Zentrum stehen desorientierte Schüler, antriebslose oder gescheiterte Studenten, Künstler am Rand des Prekariats, psychisch und physisch Versehrte, Behinderte, Ausgegrenzte, und sie alle bewegen sich in einem 'perspektivischen Niemandsland“, angezogen von einer 'magnetischen Leere'. Es gehört zu den Qualitäten des Romans, dass Birnbacher die Innenräume dieser Orientierungslosigkeit ausleuchtet und so Verständnis weckt für das zuweilen befremdliche Verhalten ihrer Akteure. Das Befremden macht einer nüchternen, taghellen Empathie Platz, die nicht auf Schuldzuschreibungen aus ist, sondern auf Einsichten und Erkenntnisse. Dabei kommt der Komposition des Romans entscheidende Bedeutung zu. Die Geschichten driften nicht auseinander, sondern sind auf kunstvolle Weise miteinander verschränkt.“
Die ehemalige Schulabbrecherin Birnbacher war in mehreren Berufen tätig, studierte schließlich Soziologie und Sozialwissenschaften und begann 2012 zu schreiben. Ihr Debütroman Wir ohne Wal wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung ausgezeichnet und für den Rauriser Literaturpreis sowie den Literaturpreis Alpha nominiert. 2015 hat Birnbacher den Rauriser Förderungspreis, 2016 den Autorenpreis Irseer Pegasus und den Theodor Körner Förderpreis, 2017 das Jahresstipendium Literatur des Land Salzburg und 2018 ein Projektstipendium des Bundesministeriums erhalten. Dazu kommt nun als weiterer Triumph der mit 25.000 Euro dotierte Bachmannpreis 2019.
Birgit Birnbacher wurde von Stefan Gmünder – er hielt die Laudatio – zum diesjährigen Bewerb eingeladen. Ihre Sprache beschreibt er als „knisternd und aufrührend“. Der Text handelt von einer Teilnehmerin einer soziologischen Studie, deren Lebenskampf und dem plötzlichen Erscheinen eines Schrankes. „Plötzlich steht ein Biedermeierschränkchen im Haus, alles im Text dreht sich um eine 36-Jährige, die im Prekariat lebt“, so Gmünder. Der diesjährigen Jury gehörten an: Hubert Winkels (Juryvorsitzender seit 2015), Stefan Gmünder (Der Standard), Nora Gomringer (Autorin), Klaus Kastberger (Leiter Literaturhaus Graz), Hildegard Elisabeth Keller (Literaturkritikerin SRF), Michael Wiederstein (Publizist, Leiter von Literarischer Monat und Schweizer Monat) und Insa Wilke (Germanistin, Literaturkritikerin).
Weitere Preisträgerinnen und Preisträger sind Leander Fischer (Deutschlandfunkpreis, dotiert mit 12.500 Euro), Julia Jost (KELAG-Preis, 10.000 Euro) Yannic Han Biao Federer (3sat-Siegerin, 7.500 Euro) und Ronya Othmann (BSK-Bank-Publikumspreis, 7.000 Euro).
Bild: jungundjung.at