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HINTERGRUND / WELTTAG DES BUCHES
23/04/19 Lesen ist nicht komplizierter geworden - aber dessen Umwelt. Das Buch muss sich anpassen oder untergehen. Der natürliche Selektionsprozess ist heute, am „Welttag des Buches“ 2019, wohl interessanter denn je. Österreichs Bibliotheken und Büchereiverbände stellen sich darauf ein.
Von Franz Jäger-Waldau
Am 23. April vor genau 403 Jahren starben in Madrid in Spanien und in Stratford-upon-Aven in England mit Miguel de Cervantes und William Shakespeare zwei der wichtigsten und einflussreichsten Autoren der ganzen Literaturgeschichte. Erst ein paar Jahrhunderte später - vor genau 24 Jahren - rief die UNESCO den Todestag der beiden literarischen Über-Väter zum „Welttag des Buches“ aus. „Tag des Urheberrechtes“ ist übrigens auch. Vor allem geht es um das Buch und um das Lesen. Liest überhaupt noch wer?
Laut der 2018 in Deutschland durchgeführten „JIM-Studie“ bleibt der Anteil von Jugendlichen, die sich regelmäßig der Lektüre von „analogen“ Büchern widmen, konstant bei vierzig Prozent - und das seit knapp zwanzig Jahren. Eine weitere Studie der deutschen Verlagshäuser behauptet, dass 75 Prozent aller befragten Kinder zwischen vier und 13 Jahren mehrmals pro Woche Bücher oder Zeitschriften lesen. Die digitale Revolution scheint im Bereich der Literatur bislang also am Traditionalismus der Jugend zu scheitern. „Das Medienangebot ist auch in den Büchereien umfangreicher geworden. Umso mehr freut es uns, dass das gedruckte Buch bei unseren jungen BesucherInnen nach wie vor einen so hohen Stellenwert genießt und sie es in ihrer Wahl bevorzugen“, sagt Markus Feigl, Geschäftsführer des Büchereiverbandes Österreichs: „Lesen ist ein Schlüsselelement für einen erfolgreichen, lebenslangen Bildungserwerb – die Kompetenz dazu, aber auch die Freude daran zu stärken sehen wir als eine unserer zentralen Aufgaben. Österreichs Bibliothekarinnen und Bibliothekare versuchen, dafür immer auch neue, ungewöhnliche Wege in der Vermittlung zu finden.“
Die obigen Studien liefern freilich auch zweifelhaftere Ergebnisse: So gaben etwa diejenigen Befragten, die zumindest selten Bücher (analog oder digital) lesen, an, von Mai bis August bereits zehn Bücher gelesen zu haben. Und auch die durchschnittliche Lesedauer soll nach eigener Schätzung bei 67 Minuten pro Tag liegen, was wohl eine eher utopische Realität voraussetzt. Interessant ist allerdings, welchen Einfluss das Bildungsniveau der Jugendlichen auf das Leseverhalten hat: Weniger als ein Drittel der Befragten mit formal niedrigerem Bildungsniveau liest regelmäßig Bücher, während bei Jugendlichen mit formal höherem Bildungsniveau knapp die Hälfte regelmäßig zum Buch greift.
Auf die Frage, wie das Interesse der Jugendlichen für Bücher auch abseits des Schulumfeldes gesteigert werden könne, antwortet Karin Haller, Leiterin des Instituts für Jugendliteratur: „Nach wie vor halte ich das Vorlesen ab einem sehr frühen Zeitpunkt, Besuche in Bibliotheken und Buchhandlungen und bei kinderkulturellen Veranstaltungen für zentral. Wenn Bücher und Lesen als selbstverständlicher und bereichernder Bestandteil des Lebens gelebt und von den Erwachsenen vorgelebt werden, stehen die Chancen auf die Entwicklung von Lesefreude nicht schlecht.“
Aber auch die Existenz der neuen Medien darf nicht verschwiegen werden. In Gegenteil, ihre zweifellos gewaltige Wirkungskraft kann mit der etablierten analogen Lesepraxis verschränkt werden. Denn sie sprechen auch Gruppen an, die gedruckte Medien nur wenig nutzen und können so für jene ein guter Einstieg in die Welt der Literatur sein. Karin Haller stimmt zu: „Digitale Medien stellen – wie ein analoges Buch – nur ein Trägermedium für Inhalte dar, im Falle der Leseförderung von Geschichten. Auch bei ihnen kommt es darauf an, ob sie qualitativ hochwertig und altersadäquat sind. Wenn sie das sind, sind sie dem gedruckten Buch nicht unterlegen, sondern können mit interaktiven Angeboten zusätzliches Potenzial bieten.“ Viele Bibliotheken setzen daher auf Vermittlungsmodelle, die analoges mit digitalem Lesen verknüpfen: [kju:b] – die kreative Jugendbibliothek der Stadtbibliothek Graz richtet sich etwa mit Workshops zur „augmented reality“ gezielt an Jugendliche und junge Erwachsene, um mit dem Smartphone ihre Welt zu erweitern. Eine derzeit aufblühende Technologie mit beinahe unfassbarem Potenzial: Die analoge Wahrnehmung der Welt wird um digital hinzugefügte virtuelle Erfahrungen erweitert. Die Stadtbibliothek Linz schließt sich dieser Idee an und bietet Begegnungen mit Roboterprogrammierung und 3D-Druck, aber lässt die Jugendlichen auch mit neuartigen Geräten und Apps experimentieren und macht sie mit dem für die Zukunft zweifellos zentralen Verfassen von Code bekannt.
Auch in Salzburg denkt man über Leseförderung nach: Zur Geburt ihres Kindes, erhalten die Eltern vom Land das Buch Was macht die Maus? gemeinsam mit dem ersten Elternbrief in einer Sammelmappe geschenkt. „Vorlesen bereitet den Kindern vor allem Freude und Geborgenheit. Die Maus-Geschichten begleiten die Kleinen ins Leben und ermutigen dazu, den Alltag mit Büchern und Lesen zu umrahmen“, erklärt Landesrätin Andrea Klambauer. Es handelt sich dabei um ein Bilderbuch mit einfachen Geschichten, verfasst von der preisgekrönten Künstlerin Helga Bansch. Die mehr als 100 öffentlichen Bibliotheken Salzburgs bieten darüberhinaus weiteres Material zur Leseförderung: So können Eltern dort beispielsweise die „Fühlbuchstaben“ oder „Puzzlespaß mit Buchstaben“ kennenlernen und ausprobieren.