„Glauben Sie uns nichts. Lesen sie selber!“
AUFGEBLÄTTERT / RUPERTUSBUCHHANDLUNG / LITERATURHAUS
26/04/10 Schon seit zehn Jahren veranstalten die Rupertus Buchhandlung und das Salzburger Literaturforum Leselampe die Literaturgesprächsreihe „Aufgeblättert“. Am 23. April, dem „Welttag des Buches“, wurden wieder literarische Neuerscheinungen diskutiert.
Von Benjamin Philippi
Der Literaturwissenschafterin Christa Gürtler hat es „Die zitternde Frau – Eine Geschichte meiner Nerven“ der bekannten New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt angetan. In diesem Buch, das man als Selbststudie bezeichnen könnte, setzt sich die Autorin mit ihrem eigenen Nervenleiden auseinander. Seit sie bei einer öffentlichen Rede über ihren verstorbenen Vater von einem heftigen Zittern ergriffen wurde, lebt Hustvedt in ständiger Verunsicherung. Weder Psychiater noch Mediziner kommen auf den Grund ihres Leidens und so macht sie sich daran, selbst zu recherchieren. Hustvedt befasst sich in ihrem Werk mit Darstellungen von Nervenleiden in der Literatur. Auch wenn sie dadurch zu keiner Lösung ihres Problems gelangt, wird es für Hustvedt durch die Versprachlichung möglich, mit diesem zu leben. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die am Ende des Werkes stattfindende Selbststilisierung der Autorin kritisiert, denn Hustvedt schreibt sich selbst in eine Tradition von Schriftstellern ein, die Krankheit als eine Fördererin der künstlerischen Fähigkeiten gesehen haben.
Christa Gürtler, Anton Thuswaldner, Klaus Seufer-Wasserthal und Petra Nagenkögel versuchten den Zuhörern jeweils ein Werk ans Herz zu legen, das nicht auf jeder Bestsellerliste zu finden ist, aber doch viel Aufmerksamkeit verdienen würde. Die vorgestellten Bücher wurden darüber hinaus noch von allen vier Experten diskutiert. Dadurch ergab sich ein differenzierter Blick.
In seinem zweiten Erzählband „Nichts, nichts“ rückt der junge österreichische Autor Bernhard Strobel gesellschaftliche Außenseiter in den Fokus der Aufmerksamkeit. Unfähig sich mit Hilfe ihrer Sprache in der Gesellschaft zurechtzufinden, ziehen sich Strobels Protagonisten immer mehr in ihre eigene Gedankenwelt zurück. Anton Thuswaldner, der dieses Buch vorstellte, lobte vor allem Strobels Fähigkeit, große Geschichten kurz und kompakt zu erzählen. Von dem fachkundigen Quartett wurde er daher mit Alois Hotschnig und Katja Lange-Müller verglichen, die ebenfalls als Meister der literarischen Kurzform der Erzählung gelten. Auch wenn die in manchen Erzählungen typisierte Darstellung einzelner Figuren kritisiert wurde, konnte man insgesamt eine eindeutige Leseempfehlung von „Nichts, nichts“ heraushören.
Keine Neuerscheinung präsentierte der Buchhändler Klaus Seufer-Wasserthal, sondern den 1968 erschienenen Debütroman „Place de l´Etoile“ des französischen Schriftstellers Patrick Modiano. Der ist nun endlich auch in einer deutschen Übersetzung greifbar. In dem Roman phantasiert sich der Jude Raphael Schlemilovitch seine Autobiographie zusammen und schlüpft dabei in die unterschiedlichsten Rollen, die Juden während der Zeit der Okkupation Frankreichs durch die Nationalsozialisten eingenommen haben. Dadurch wird die Austauschbarkeit und Beliebigkeit der Klischees und Vorurteile über die Juden verdeutlicht. Die Begeisterung, mit der alle vier Diskutierenden von diesem Buch sprachen, hinterließ bei den Zuhörenden einen bleibenden Eindruck.
Die Schriftstellerin Petra Nagenkögel stellte Katharina Hackers Roman „Alix, Anton und die anderen“ vor. In dem Roman erzählt die 1967 geborene Hacker von ihrer eigenen Generation. Eine Gruppe von kinderlosen Freunden um die 40 schauen auf ihr bisheriges Leben zurück und müssen akzeptieren, dass sie einige Chancen verpasst haben und langsam der Wunsch nach Veränderungen stärker wird. Nagenkögels Lob für den Roman konnte die restliche Expertenrunde aber nur teilweise zustimmen. Die Beschreibung dieser Generation wurde zwar als sehr gelungen beurteilt. Das formale Experiment Hackers, zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Erzählstränge nebeneinander in zwei Spalten abzudrucken, wurde aber abgelehnt. Denn dadurch gehe vor allem der Lesefluss verloren.
Zum Abschluss der gute Rat an die Zuhörer, die geäußerten Meinungen nicht zu glauben, sondern sich durch selbstständiges Lesen eine eigene zu bilden. So begeisternd, wie die vier über die Bücher geredet hatten, fruchtet diese Aufforderung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit.