Die zarten Blumen der Seele gebrochen
LESEPROBE / ALJA RACHMANOWA
13/03/15 Alja Rachmanowa, 1898 im Ural geboren, heiratete 1921 Arnulf von Hoyer, einen Kriegsgefangenen aus Österreich. 1926 floh die Familie aus der Sowjetunion und zog nach Salzburg . Ihr erstes Buch - Studenten, Liebe, Tscheka und Tod – machte Alja Rachmanowa berühmt. Heinrich Riggenbach hat nun ihre Tagebücher aus den Salzburger Jahren herausgebracht. – Hier eine Leseprobe.
Von Alja Rachmanowa
22.1.1942
Heute ist es genau sieben Monate her, dass Schurotschka in den Krieg gezogen ist! Wie viele Monate noch werden wir ihn nicht sehen? Wieder hängt neben der Festung die orangefarbene, graue Sonne. Es ist kalt. Der kälteste Tag in diesem Winter. Man sagt, am Morgen sei es 27 Grad minus gewesen. Von der Salzach ist fast nichts übrig geblieben. Ein kleines Rinnsal im Schnee, an dessen Ufern, wie graue Steine, die Möwen lagern. Wie ist es möglich, dass
sie nicht erfrieren? Am Mittagessen in der Diätküche erzählte mir meine Nachbarin, ihr Mann sei innert zweieinhalb Jahren Kriegseinsatz dreimal am Kopf verletzt worden. „Wer sagt, er opfere mit Freude einen geliebten Menschen, liebt entweder diesen Menschen nicht oder er lügt!“, sagte sie. „Für mich wäre es furchtbar, den Mann zu verlieren!“ Sie hat ein müdes, bleiches, sympathisches Gesicht. Auffallend sind die Falten um Nase und Mund. „Ich möchte so gerne ein Kind haben, die Jahre vergehen, ich arbeite von morgens bis abends. Jeden Tag schreibe ich abends meinem Mann einen Brief und er schreibt mir auch jeden Tag!“ Von ganzem Herzen wünschte ich ihr, dass ihr Mann gesund aus dem Krieg zurückkehre. Was für ein Glück, dass Arno bei mir ist! Ich liebe ihn mit jedem Tag mehr und mehr, obwohl es scheint, mehr zu lieben sei unmöglich!
23.1.1942
Es ist noch kälter als gestern. Als schmaler Streifen windet sich die Salzach und weißer Dampf steigt von ihr auf, als ob ihr das Atmen schwerfiele. Der Schnee knirscht unter den Füßen, der Frost beißt an Wangen und Nase. Man sagt, es sei heute 32 Grad minus. Ich möchte furchtbar gerne ein Drama oder eine Komödie für das Theater schreiben. Ich kann nicht begreifen, weshalb mir Romane so leicht von der Hand gehen und ich für das Theater bisher nichts schreiben konnte. Heute dachte ich den ganzen Tag nach, fast bis der Kopf schmerzte, aber es ist mir bis jetzt nichts eingefallen. Arno sagt: „Zerbrich dir nicht den Kopf, dein Stück wird sowieso niemand spielen, da deine Bücher verboten sind.“ Aber ich muss trotzdem schreiben!
8.2.1942
Heute hörte ich zum ersten Mal das Zwitschern der Vögel im Garten und als wir am Abend vom Theater zurückkehrten, standen am Ufer der Salzach unter den verschneiten Bäumen zwei umschlungene Paare. Die Männer waren in Soldaten uniform. Es scheint, der Frühling kommt doch, obwohl es immer noch kalt und neblig ist…
9.2.1942
Für meinen Roman: „Ich habe Angst vor Dir.“ Die nie befriedigte Sehnsucht nach Liebe. Das Verlangen nach Berührung. Wenn es keine körperliche Nähe gibt, erstarrt die Seele in trauriger Einsamkeit. Das Körperliche und Seelische in der Liebe zu trennen ist unmöglich. Die Liebe ohne das Lied des Körpers ist keine echte Liebe zwischen Mann und Frau. Die Liebe ohne Seele ist ebenfalls keine echte Liebe. Das Ideal: Das Einswerden der körperlichen und seelischen Liebe. Die Frau schätzt am meisten Zärtlichkeit. Wenn es sie nicht gibt, bleibt die Kälte der Einsamkeit. Es war für sie schrecklich zu erkennen, dass er sie körperlich nicht lieben will. Den Kuss, das Streicheln mit der Hand – alles nahm er ihr weg. Und plötzlich wurde ihr klar, dass sie bei den Begegnungen zur Passivität verurteilt war! Nur kluge Gespräche trösten eine Frau nicht. Es zeigte sich jetzt: in allen Gesprächen und Begegnungen war das Liebkosen seiner Augen und die Nähe ihrer Körper, die sich zu einander hinzogen, für sie das Wert vollste gewesen. Jetzt hat er alles Physische weggenommen und gleichsam die zarten Blumen ihrer Seele gebrochen. Dieses Thema entwickeln: das Verlangen der Frau nach Zärtlichkeit. Nicht unbedingt bis zum Letzten. Nur die Zärtlichkeit braucht sie. Ohne diese Zärtlichkeit breiten sich Enttäuschung, Leere und Unzufriedenheit aus. Letzten Endes der Typ der verbitterten alten Jungfer.
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Hinter dem Fenster rauscht der Fluss. Sein Rauschen sagt mir, dass ein Tag nach dem andern vergeht und der Tod immer näher und näher ist… Der Tod! Jeder Mensch muss diesen schrecklichen Augenblick durchmachen. Ich denke oft an den Tod. Deshalb kann ich auch niemals böse sein. Von früher Kindheit an wusste und spürte ich, dass es den Tod gibt. Deshalb war meine Seele niemals böse.
Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages
Alja Rachmanowa: Auch im Schnee und Nebel ist Salzburg schön. Tagebücher 1942 bis 1945. Herausgegeben und übersetzt von Heinrich Riggenbach. Otto Müller Verlag, Salzburg 2015. Buch 21 Euro, E-Book 16,99 - www.omvs.at
Alja Rachmanowa, 1898 im Ural geboren. Während der Revolutions- und Bürgerkriegswirren studierte sie in Perm und Irkutsk und heiratete 1921 den österreichischen Kriegsgefangenen Arnulf von Hoyer. 1926 sahen sie sich gezwungen, zusammen mit ihrem Sohn Alexander die Sowjetunion zu verlassen. In Wien sorgte vorübergehend ein Milchladen für das Auskommen, aber schon bald konnte die Familie in Salzburg Fuß fassen und Alja Rachmanowa wurde mit ihrem Erstling Studenten, Liebe, Tscheka und Tod auf einen Schlag berühmt. Nach Alexanders Soldatentod kurz vor Kriegsende suchte das Ehepaar in der Schweiz eine neue Heimat und einen neuen Anfang. Sie lebten in der Abgeschiedenheit des Thurgauer Bauerndorfes Ettenhausen, vertieft in die gemeinsame Arbeit an einer Reihe von Roman-Biografien über Persönlichkeiten der russischen Kultur. Alja überlebte ihren Mann um über zwanzig Jahre und starb 1991 von der Welt fast vergessen. (Otto Müller Verlag)