Kunstbegabtes Naturburschentum
LESEPROBE / HERMANN BAHR UND SALZBURG
19/07/23 Salzburg war für ihn „Stein gewordene Musik“. Er kam schon als Jugendlicher erstmals nach Salzburg und wurde später einer der geistigen Väter der Festspiele. Fünfzehn Essays, neun davon von Salzburger Autorinnen und Autoren, zu Leben, Werk und Wirken des Dichters, Essayisten und Kulturkritikers versammelt der Pustet-Band Hermann Bahr und Salzburg. – Hier eine Leseprobe.
Eine Stimme im Hintergrund: Hermann Bahr und die Salzburger Kunstszene
Von Nikolaus Schaffer
Er ließ es in seinem pädagogischen Reformprogramm, das den „österreichischen Menschen“ der Zukunft hervorbringen sollte, nicht bei der Theorie bewenden, sondern setzte den Hauptansatzpunkt in die Tat um und übersiedelte 1912/13 nach Salzburg, um seine Überzeugung von den Vorzügen des Lebens und Schaffens in der Provinz augenscheinlich zu demonstrieren. Die Nähe zur Natur war in seiner Vorstellung in Hinblick auf unkorrumpierte Verhältniss ein entscheidender Bonus. Für den zukunftsträchtigen Menschentyp wünschte er sich eine spezielle Verbindung von musischen Seelenkräften mit sportiver Energie. Es schwebte ihm eine Art kunstbegabtes Naturburschentum vor, bei dem der Hang zur Innerlichkeit und ein gehöriger Schuss Verwegenheit in einer ungewohnten Mischung aufeinandertrafen.
Kaum in Salzburg heimisch geworden, liefen Bahr zwei „Salzburger Jünglinge“ über den Weg, die seinem Idealbild direkt entsprungen zu sein schienen: „ein junger Maler, Schüler Delugs, Alexander Mörk, und ein junger Dichter, Karl Schoßleitner“. Bahr war es gelungen, diese beiden Aspiranten im Umfeld einer äußerstausgefallenen Disziplin, nämlich des Höhlensports, aufzuspüren. Zusammen mit einigen anderen Kameraden war ihnen kurz zuvor eine veritable Großtat gelungen: der Vorstoß in die größte Eishöhle der Welt im Tennengebirge bei Werfen. Bald darauf entdeckten Mörk und Schoßleitner auf dem Untersberg die Knochen eines diluvialen Höhlenbären. Diese aufsehenerregenden Leistungen waren Grund genug, den jungen Höhlenenthusiasten die Möglichkeit einzuräumen, ihre Entdeckungen im Rahmen einer großzügigen „Höhlenschau“ vorzuführen. Sie fand von 11. September bis 15. Oktober 1913 in sechs Räumen von Schloss Mirabell statt und wurde auch von Bahr besucht, der sie ein halbes Jahr später in einem Feuilleton der Neuen Freien Presse mit dem Titel Höhlensport so ausführlich wie enthusiastisch kommentierte. Besonders hatte ihm die Symbiose von wissenschaftlicher Methodik und mystischem Stimmungszauber gefallen, vermittelt durch zahlreiche Dioramen und in phantastische Visionen abschweifende Gemälde.355 Deren Schöpfer Alexander Mörk wurde von Bahr als außergewöhnliche Verbindung aus fanatischem Verstandesmenschen und tiefsinnigem Romantiker charakterisiert.
Es gab noch einen weiteren Berührungspunkt: das Theater. Die beiden Mehrfachbegabungen Mörk und Schoßleitner hatten in Wien eine „Lyrische Bühne“ gegründet, die es sich zur Aufgabe setzte, „jene Dramatiker zu pflegen, die, losgelöst vom Grobstofflichen, nur Seelenhandlungen bieten und an deren Spitze natürlich Maeterlinck steht“, also ein Theater der Innerlichkeit, wie es auch Bahr als Alternative zum Naturalismus forderte. Als Dritter im Bunde beteiligte sich der aus Prag stammende Studienkollege Otto Zoff. Im März 1912 gastierte diese kleine Truppe zugunsten des Mozarteum-Baues in Salzburg und brachte u. a. die Liebesszene aus Pelléas und Mélisande zur Aufführung, „wirkungsvoll dargestellt durch Frau Mara [= Marianne, Anm. N. Sch.] Zoff – Ottos jüngere Schwester – und A. Mörk“. 356 Anschließend wurde das mystische Spiel Das Mädchen am Tore von Otto Zoff geboten, in dem sich Karl Schoßleitner schauspielerisch hervortun konnte. Schoßleitner (1888–1959), damals als literarische Hoffnung mit Georg Trakl in einem Atemzug genannt, interessierte sich besonders für verstiegene psychologische Konflikte und trat u. a. mit dem Drama Blaubarts Sohn sowie einem König Ödipus hervor. Mörk verfasste ein Stück über Erzbischof Wolf Dietrich, das ebenso wie seine übrigen literarischen Versuche verschollen ist.
Auftritte der „Lyrischen Bühne“ gab es auch im Akademischen Verband für Theater und Musik in Wien, wo der Salzburger Erhard Buschbeck eine leitende Funktion wahrnahm. Am 31. März 1913 veranstaltete dieser Verein den als „Watschenkonzert“ in die Musikgeschichte eingegangenen Abend im Musikvereinssaal, der mit tumultartigen Szenen während eines Stückes von Arnold Schönberg endete und bei dem Buschbeck einem Besucher namens Dr. Viktor Albert eine heftige Ohrfeige verpasste.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Anton Pustet
Manfred Mittermayer, Bernhard Judex (Hg.) unter Mitarbeit von Kurt Ifkovits: Hermann Bahr und Salzburg. Verlag Anton Pustet. Salzburg 2023. 200 Seiten, 32 Euro – pustet.at
Bild: KHM Museumsverband / Sammlung Theatermuseum Wien (im Kapitel: Hermann Bahrs „Heimkehr“ (nach Salzburg) von Kurt Ifkovits)
Über Hermann Bahr In Salzburg katholisch geworden