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Nächtens in Sarkophage ohne Deckel gebettet

LESEPROBE / THOMAS OLÁH / DOPPLER

10/03/23 Kostümdesigner für Kino und Fernsehen. Experte für Modetheorie und Ge­schichte des Körpers. Österreichischer Filmpreis 2013 für Die Vermessung der Welt und mehrere Nominierungen zum Deutschen Filmpreis... Nun hat Thomas Oláh mit Doppler sein Romandebüt gegeben. Ein bizarres Stück Österreich“. Nichts für schwache Nerven. – Hier eine Leseprobe.

Doppler

Von Thomas Oláh

Mutter trägt wie immer einen geblümten Kittel, davon muss sie unzählige haben. Einer gleicht dem anderen nur auf den ersten Blick, dem aufmerksamen Betrachter offenbart sich ein Panoptikum der Kittelwelt, die hier übrigens Schürzen genannt werden, obwohl es auch Schürzen gibt, die wie Schürzen aussehen und auch so heißen, aber dann sind da eben noch die Kleiderschürzen, und das meint die Kittel, kurz Schürzen. Alle Exemplare ihrer Kleiderschürzensammlung haben vorne einen Verschluss, zumeist Knöpfe. Allerdings gibt es auch einige modernistische Exemplare mit Reißverschluss, immer mit zwei Taschen in Hüfthöhe und in einem Blumenmuster, das zwischen subtil kleinteiliger Zweifarbigkeit und psychedelischer palatschinkengroßer Buntheit eine Vielzahl von Abstufungen kennt. Schürzen trägt Mutter immer, außer sonn- und feiertags. Und beim Kirchgang jedweden Anlasses natürlich sowieso nicht, aber ansonsten stets und immer in Kombination mit einem Kopftuch. Das Haupt zu bedecken, gehört sich so, und alle halten sich daran, auch die Männer im Dorf gehen nie barhäuptig, draußen, auf der Gasse.

Im Haus, unter sich, ist man ohne Hut, und als Ausdruck des Respekts nimmt man den Hut auch auf der Straße ab vor Leuten, die ein Amt bekleiden, das jenen vorbehalten ist, die diesen Respekt verdienen. Der Hut, das Kopftuch der Männer – beweglich im Gegensatz zum Damenstück –, wird für den Herrn Doktor oder Hochwürden bei jeder flüchtigen Begegnung ehrerbietig kurz gelüftet, die vermeintliche Ergebenheit durch Entblößung andeutend. Für seinesgleichen bleibt der Hut auf dem Kopf, lediglich der Zeigefinger, gestreckt, wird kurz an die Krempe gelegt, wie ein verblödelt-militärischer Gruß. Jüngere Männer unterlassen, genauso wie die Frauen, eine Bewegung von Hand und Hut, zeigen lediglich ein schräges Nicken, als würde im Nacken etwas ganz leicht jucken, das den Aufwand, mit der Hand hinzugreifen und mit dem Finger zu kratzen, gar nicht lohnte, als ließe es sich wegnicken.

Und so ergibt sich eine gewisse Ordnung durch das Reglement der Hüte und des Anhebens derselben über die Jahre, und auch wenn heute keiner mehr so recht weiß, warum er wann was tut mit dem Hut, die Gepflogenheit ist in Fleisch und Blut übergegangen und der Kopf bleibt bedeckt. Das hilft, einen Rest von Form der Welt entgegenzustellen, die anderswo längst aus den Fugen ist.

Wie alle Männer im Dorf, die Status und Bedeutung haben, krönt auch Vater etwas, das hier als Fleischhaube bezeichnet wird. Ein absolut haarloser wie blank polierter Scheitel, umzäunt von einem dünnen Haarkranz, der stets eine deutlich sichtbare Einkerbung ringsum zeigt: den Abdruck konsequenten Huttragens.

Trotzig steht das Brett von der Wand ab, auf dem der Hut ruht, wenn er nicht im Dienst ist, hölzerner Platzhalter für Vaters Haupt und Haube. So gewiss wie der nächste Tag auf die Nacht folgen wird, so wird der Hut von der alten Hand wieder auf den kahlen Schädel gesetzt, hierhin und dorthin getragen, gelegentlich angehoben oder in den Nacken geschoben. Nichts, das nicht schon hundert Mal getan worden wäre und über die Jahre nichts hinterließ als abgegriffene Stellen, dunkel verfärbt und speckig glänzend, Fett und Filz.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Müry Salzmann

Thomas Oláh: Doppler. Roman. Müry Salzmann, Salzburg 2023. 224 Seiten, 24 Euro – www.muerysalzmann.com
Bild: Stefan Oláh

 

 

 

 

 

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