Frauen sind gar nicht so!
LESEPROBE / ULI BRÉE / SCHWINDELFREI
16/02/18 Frauen sind das Beste und manchmal auch das Schlimmste, was einem Mann passieren kann... In „Schwindelfrei“ erzählt „Vorstadtweiber“-Erfinder Uli Brée ergreifende und erfrischend komische Geschichten über Frauen und erweist sich dabei als einer, der nie aufgehört hat, staunend vor der fremd-vertrauten Welt der Frauen zu stehen. – Hier eine Leseprobe.
VON ULI BRÉE
Annette – Das Haarbüschel
Es ist schon eine Weile her, da war Annette seine Lebensabschnittsfreizeitpartnerin. Annette wollte allerdings mehr als nur ein Abschnitt sein. Sie wollte zusammenziehen, heiraten, Kinder kriegen, bausparen, Haus bauen, ihn mit seinem Geschäftspartner betrügen, sich scheiden lassen, ums Sorgerecht streiten, in der Gosse landen, Alkoholikerin werden, dumm sterben. Mit anderen Worten: das ganz normale bürgerliche Ehe-Programm.
Und da hatte er nicht ganz so enthusiastisch mitgezogen, im Gegenteil, er hatte Annette gefragt, ob sie komplett verrückt sei – und das hatte Annette wiederum nicht ganz so entspannt aufgenommen. An einem Sonntag, mitten am Heldenplatz.
Sie waren auf dem Weg ins Kino, um sich „Titanic“ anzuschauen. Die Welt schien in Ordnung. Aber dann war Annette völlig unvermittelt in Tränen ausgebrochen. Aus heiterem Himmel und verschmähter Zukunft heraus.
Sie stand vor ihm, mitten am Heldenplatz, mit Tränen in den Augen und verkrampft er Körperhaltung. Sie schrie, als wäre sie die Netrebko mit einer verschleppten Stimmbandentzündung: „Ich liebe dich, du bist der Einzige für mich, der Mann meines Lebens und meiner Träume! Was willst du denn noch, ich habe dir alles gegeben, einfach alles!“
Als wäre das nicht schon genug öffentliches Drama, riss Annette sich auch noch mit einem Ruck ihr Jeanshemd auf. Ein paar Knöpfe flogen als Querschläger Richtung Volksgarten, ein paar landeten zu seinen Füßen. Er stand regungslos da und dachte: „Wahnsinn! Das sind genietete Knöpfe, wenn die einmal abgerissen sind, dann kannst du das ganze Hemd vergessen. Entweder hängt noch ein Stück dran und du tust dir immer weh – oder du brauchst eine Nietzange und wer hat die schon!?“ Es tat ihm leid um das schöne Jeanshemd. Das hatte er ihr geschenkt. Und sie warf es einfach in den Dreck. „Aber so sind die Menschen“, dachte er, „die haben einfach kein Gefühl.“
Annette schrie: „Da! Ich zeig dir mein Herz! Schau hin! Ich zeig dir mein Herz!“ Er schaute auf ihre Brust, dorthin, wo man das Herz vermutete, aber da war nur dieser hautfarbene Push-up-Bra. Da war kein Herz. Sosehr er sich auch bemühte, er sah kein Herz. Außerdem hatte er die ganze Zeit woanders hinsehen müssen, weil unter ihrer Achsel ein paar Haare hervorstanden. „Vermutlich, weil sie sich schon ewig die Achselhaare nicht mehr rasiert hat“, dachte er, „… und so komisch gekräuselt sind sie auch noch.“ Ihm war das vorher noch nie aufgefallen, dieses läppische Haarbüschel. Es sah aus, als wäre ein altes Kissen aufgeplatzt und die Rosshaare herausgequollen. „Arm irgendwie. Und so erbärmlich“, dachte er.
In diesem Moment fand er das in seinem Innersten, ganz tief in sich drin, unglaublich witzig. Er konnte einfach nicht anders und bekam einen unfassbaren Lachkrampf.
Die Menschen am Heldenplatz blieben stehen und sahen zu, wie Annette ihm ihr Herz off enbarte und er ohne Ende lachte, während er mit dem Finger unter ihre Achsel deutete. Annette hatte ihn daraufhin angesehen wie ein Erstklässler, dem sie die Schultüte zertreten haben. Dann hatte sie stumm das Jeanshemd ausgezogen, es vor seinen Füßen zu Boden fallen lassen, sich umgedreht und war wortlos davongegangen. Er stand da und dachte: „Komisch! Wieso fällt mir nicht und nicht ein, wer solch eine Nietzange hat!? Und warum gehe ich Annette nicht nach und kläre alles auf und sage: ‚Die Bella, klar! Die hat so eine Zange! Die macht so viel mit Leder, die kriegt das Hemd sicher wieder hin! Und übrigens, Annette, es tut mir leid, wirklich, das war ein Missverständnis. Es war nur wegen deinen läppischen Achselhaaren. Hör zu, ich finde das an sich unheimlich nett von dir, dass du mir dein Herz zeigst! Aber jetzt zieh dein Hemd wieder an, du verkühlst dich noch.‘“
So etwas in der Art würde man doch sagen – als anständiger Mensch! Er blieb stehen und ließ Annette seelen ruhig über den Heldenplatz aus seinem Leben entschwinden. Er dachte: „Nein, nicht die Bella hat so eine Zange, die Paula hat so eine!“ Er hob das Hemd auf, rief Paula an und fragte sie, ob sie mit ihm ins Kino gehen wolle, da er ja jetzt eine Karte zu viel hatte, nachdem Annette weg war. Und ob sie ihm eventuell die Nietzange mitbringen könne wegen dem Jeanshemd.
Manchmal ist man als Mensch wirklich das Letzte. Man stürzt jemand anderen ins absolute Unglück, in pechschwärzeste Depression und tiefstes Leid, dreht sich um und geht was trinken.
Er und Paula hatten viel Spaß im Kino und wurden für einige Jahre ein glückliches Paar.
Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages
Uli Brée: Schwindelfrei. Frauen sind gar nicht so, sie sind ganz anders... Residenz Verlag, Salzburg 2017. 160 Seiten, 20 Euro – www.residenzverlag.com
Bild: Michael Obex/Residenz Verlag