Was Pfau, Löwe und Pferd singen
BUCHBESPRECHUNG / DIE SINGENDEN STEINE VON MONREALE
07/12/12 Man kennt Rainer Straub noch als Gründer und des Paul Hofhaimer Consorts – Bahnbrecher (ur)alter Musik in Salzburg. Der ambitionierte Musiker, Chorleiter und Lehrer aus Zell am See hat sich im Alter einem ganz eigenwilligen Tätigkeitsfeld verschrieben. Er sucht in romanischen Kreuzgängen nach verschlüsselten Botschaften.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Verlag Pustet ist vor geraumer Zeit der Band „Die singenden Steine von Moissac“ erschienen. Auch im Kreuzgang des ehemaligen Benediktinerklosters Monreale bei Palermo auf Sizilien hat Straub solche „Singenden Steine“ ausgemacht, und ihnen gilt ein heuer in gleicher Aufmachung wie der Vorgängerband erschienenes Buch.
Singende Steine? Das meint natürlich nicht, dass etwas real tönt, wenn die Bora durch die Säulenreihen bläst. Gemeint ist: Wenn man die Bildwerke auf den Kapitellen der 104 Säulen mit theologischem Wissen, Sinn für Zusammenhänge und Gespür für mittelalterliches Denken genau betrachtet, dann können einen – tiefgreifender Sachverstand vorausgesetzt – einige Auffälligkeiten auf unerwartete Fährten bringen.
Logisch, dass sich die Skulpturen an den Säulen zu Themenkreisen fügen, etwa das liturgische Jahr betreffend. Christus-, Marien-oder Heiligenfeste werden in ihrer Bedeutung und biblischen Rückbindung gefasst. Es steckt aber, wie Rainer Straub in diesem spannend, aber nicht ganz leicht zu lesenden Buch aufschlüsselt, auch viel Geheimnisvolles drin, das erst entschlüsselt sein will. Straub sind gleich mehrere „verdächtige“ Dinge aufgefallen, aus denen er Rückschlüsse auf theologische Botschaften zieht. Da geht es um die Jahreszeiten, um die acht Seligkeiten (ach hätte man nur im Religionsunterricht besser aufgepasst!) und um eine Meditation des 119. Psalms. War das den Mönchen im 13. Jahrhundert gegenwärtig? Oder waren es schon damals für wenige Wissende reservierte religiöse Hintergrundinformationen?
Wie auch immer. Eine der verblüffendsten Erkenntnisse betrifft die Musik. Symbole, die wie zufällig gemeißelt sind, erweisen sich als planvoll angelegte Zeichen. Ein Pfau steht für den Ton „d“, ein Löwe für das „f“, Pferd oder Fische für „b“ oder „h“, der Adler für das „c“. Und so weiter und so fort. Weiß man das zu lesen, dann ergibt sich eine Choralmelodie, die zum Fest Verkündigung des Herrn (am 25. März), aber auch wunderbar in den Advent passt: „Ecce virgo concipiet“, Siehe, die Jungfrau wird empfangen.
Rainer Straub baut auf Erkenntnissen des Musikhistorikers und Ethnologen Marius Schneider auf. Franz Karl Praßl, Gregorianik-Professor in Rom und Graz, ist ihm auch zur Hand gegangen bei der Suche nach den lokalen Musikquelle. Ergebnis: Die Choralmelodie hat genau104 Töne, so viele wie der Kreuzgang Säulen. Man könnte ein Mal herum gehen und Ton um Ton absingen. Auf einer dem Buch beiliegenden CD kann man sich die Musik anhören, ausgeführt von der Grazer Choralschola. Faszinierend. Und natürlich auch ein attraktives Schau-Buch, wegen der detailrfeichen Fotos von Roberto Sigismondi.