So rennt ein Hoffender nur
GEORG MARIA HOFMANN ZUM 90. GEBURTSTAG
17/03/23 „Im Mirabellgarten eingesperrt zu werden und über irgendwelche Gitter zu steigen, konnte man nicht recht mit einem Genfer Konventionspass, in dieser ordentlichen, sehr bürgerlichen Stadt...“ Das war am 16. November 1957, dem Jahrestag der Flucht aus Ungarn. Die Figur heißt nicht, wie ihr späterer Autor. Der Titel des neuen Romans von Georg Maria Hofmann ist Programm: Das Kind mit den sieben Namen.
Von Heidemarie Klabacher
„2020 Personenstandsänderung von weiblich auf männlich aufgrund bestehender Transidentität“ lautet der Eintrag im Lebenslauf des Autors am Ende des Buches. Diesen persönlichen Aspekt eines komplexen Lebens thematisiert Georg Maria Hofmann, mit heutigem Datum – 17. März 2023 – Neunzig geworden, in seinem jüngsten Roman. Immer wieder aus sicherer, poetisch verfremdender, sprachkünstlerischer Distanz. Auch politische Gräuel, Folter und Mord oder einfach einen tragischen Verkehrsunfall in der regennassen Alpenstraße, hält Georg Maria Hofmann, der erfahrene Theaterautor, mit Hilfe der Sprache im Zaum. Die oft geradezu bizarren Szenarien, Leben, Tod, Liebe, Wahn, Missbrauch, haben neben ihrer poetischen zugleich eine dramatische Kraft, die die gelesenen Szenen direkt auf die Bühne der Imagination hebt. Diese ist nur selten ein Ruhekissen.
Der jugendliche Ich-Erzähler etwa hat damals nur davon erzählen gehört, was mit dem jungen Pater „durch den Stasi-Major im Großen Saal des Benediktiner-Gymasiums anstelle der Aufführung der Sieben Worte Christ, so er am Stamm des Heiligen Kreuzes gesprochen, von Heinrich Schütz (Passionsmusik)“ passiert ist. Des Ich-Erzählers Vater, Hofmann Gyurika, ein offenbar schwer gestörter Mensch, der „dem Kind“ einst den geliebten Kasperl verbrannt hatte (weil ihn die Schwägerin und nicht er selber gebastelt hatte), stand zum Zeitpunkt des Überfalls auf das Gymnasium sinnierend auf der Straße. Dort, wo gegenüber einmal das Arrabonische Nationaltheater stehen würde.
Ein scheinbar harmloser Satz. Zugleich eine der vielen Bruchstellen im Roman, an denen das später demnächst neunzigjährige „Kind“ (im hohen Alter endlich das „er“ erkämpft habend) innehält und wie mit leichten Bällen mit den Zeitebenen jongliert: „Tja, aber da wird er, Gyurika, nicht mehr in dieser Stadt weilen ... Mit seinem Sohn, das heißt doch eigentlich Tochter oder umgekehrt, denn wir werden am 16. November 1956 die Grenze übertreten. Schön bist du, wunderschön bist du, Ungarnland, schöner noch als die große Welt.“
Genau ein Jahr später heißt der Ich-Erzähler, der vom wild gewordenen Läuten der Glocken der Andrä-Kirche verfolgt, das Sanatorium Werle sucht, Viragh. Wir können nicht anders, als hier einen Querverweis auf James Joyce und dessen Ulysses zu orten. Zu oft spielt Georg Maria Hofmann in seinem Roman mit dem Namen des Vaters von Leopold Bloom. Er legt sogar eine direkte Fährte und schreibt, „komischer Zufall, dass der Vater von Viragh auf Deutsch Blume hieß“. (Nicht zufällig also steht in Szombathely eine James Joyce-Statue).
Das arrabonische Nationaltheater, das der Vater immer wieder imaginiert, fordert mit seinem Namen zur Recherche auf. „Das Kastell Arrabona war ein römisches Militärlager, dessen Besatzung für Sicherungs- und Überwachungsaufgaben entlang der mittleren Donau zuständig war. Der Strom bildete in weiten Abschnitten die römische Reichsgrenze. Die Überreste des Kastells liegen heute auf dem Stadtgebiet von Győr in Ungarn“, weiß Wikipedia. „Der antike Ortsname stammt wohl ursprünglich aus dem keltischen Sprachkreis. Er wurde über acht Jahrhunderte hindurch verwendet und existiert bis heute in verschliffener Form im deutschen Raab weiter.“ Und in Györ/Raab, Ungarn wurde am 17. März 1933 Georg Maria Hofmann geboren.
Dazwischen die Familie! Vater und Mutter des sich immer wieder entziehenden Titelhelden hatten jeweils „sechs lebende Geschwister“, vor allem Schwestern. Die wechselseitigen VorLieben und AbNeigungen ergeben ein ganz eigenes Geflecht innerhalb des ohnehin schon komplexen Handlungs-Geflechts. Immer wieder fühlt man sich an die bizarren Verhältnisse und Figuren in dem einen oder anderen Großroman lateinamerikanischer Nobelpreisträger erinnert. Dass man nicht immer ganz genau weiß, auf welcher Zeitebene (oder ob überhaupt noch in der Realität) man sich grad befindet, erinnert gar an Das grüne Haus. Aber nur von der Eigenwillikeit der Zeitbehandlung her. Georg Maria Hofman bleibt stillistisch immer er selber!
Weitere Leitmotive durch die 230 Romanseiten sind neben den vielfältigen Namens-Rätsel-Spielen auch musikalische An-Spielungen und Liedzitate. Und das feine Gehör Viraghs, der Hunderassen allein am Geräusch, welches sie beim Spazierengehen machen, unterscheiden konnte! „Jedenfalls hörte sich ein Dackel für ihn anders an als ein Boxer, die Hunde brauchen gar nicht erst zu bellen.“ Und auch wieder der Vater: „Hoffentlich würde er Gyurikas, seines Vaters, einstige Schwerhörigkeit nicht erben.“
Der Rockefeller-Stipendiat und Stipendiat der Stadt Hamburg, der Musiktheaterproduzent, der Österreichische Staatsbürger ab 1961, der Roman- und Theaterautor, dessen erste Uraufführung 1967 in Salzburg gefeiert wurde, der Gründer und langjährige Leiter der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft zunächst für Alte, dann für Alte und Neue Musik, der Träger des vom Bundespräsidenten verliehenen Berufstitels Professor, des Goldenen Stadtsiegels der Stadt Salzburg und des Großen Verdienstzeichens des Landes, überrascht und begeistert in seinem 91. Jahr mit einem weiteren literarischen Wurf.
Georg Maria Hofmann: Das Kind mit den sieben Namen. Roman. Frieling-Verlag, Berlin 2023. 240 Seiten, 15 Euro – auch als e-Book zum Download unter de.scribd.com
Bilder: Archiv Georg Maria Hofmann; Silvia Panzl-Schmoller/Stadtarchiv Salzburg