Vom heiligen Virgil bis zu Thomas Bernhard
BUCHBESPRECHUNG / NEUHARDT / MEIN SALZBURG
22/09/20 Wenn Johannes Neuhardt Kunst und Geschichte erklärt, dann geht es meistens um viel mehr. Er versteht es wie wenige andere, seinen Zuhörern – in diesem Fall: seinen Lesern – Zusammenhänge zu erschließen. So auch in seinem zum 90. Geburtstag erschienenen Buch Mein Salzburg. Die verkaufte Schönheit.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein Beispiel für Neuhardts anschauliches Geschichte-Erklären? In einem Kapitel geht es um Erzbischof Wolf Dietrich. Der holte zum Zweck des Wieder-katholisch-Machens die Kapuziner ins Land. „Es muss ein bühnenreifer Auftritt gewesen sein, als er [der Erzbischof, Anm.] den Ranghöchsten dieses Ordens aus Venedig, Pater Laurentius von Brindisi, der später heiliggesprochen wurde, auf den Kapuzinerberg führte und ihm das Trompeterschloss als Bauplatz anbot. Laurentius wehrte sich mit Händen und Füßen gegen diesen prominenten Ort, weil er für einen Orden, der sich der Armut verpflichtet wusste, nicht tauglich sei.“
Der Ordensobere hat sich, wenn's denn wahr und nicht nur wahrscheinlich ist, jedenfalls nicht durchgesetzt gegen Wolf Dietrich. Die Kapuziner residieren bis heute auf dem nach ihnen benannten Berg. Und als Bettelorden haben sie gerade jetzt heftig zu strampeln, um den über-repräsentativen Klosterstandort in die Zukunft hinüber zu retten.
Aber zurück zu Neuhardts Buch Mein Salzburg. Die verkaufte Schönheit. Es ist eine sehr eigene Sammlung, eine Mischung aus Feuilletons und sehr persönlichen Betrachtungen. In zwei großen Abschnitten – Die südlichste Stadt des Nordens und Die nördlichste Stadt des Südens – ist es eine Mischung aus Stadtführer und Salzburger Kirchen-, sprich: Erzbischofs-Geschichte. Von all den Landesfürsten mit klingenden Namen weiß Neuhardt Licht- und Schattenseiten zu berichten. Bleiben wir bei Wolf Dietrich, in dessen Regierungszeit im alten Dom ein Brand ausbrach (1598). „Von Brandstiftung kann keine Rede sein, dennoch wurde dies Wolf Dietrich unterstellt. Dann aber gab es kein Halten mehr. Obwohl das Gewölbe standgehalten und im Kircheninneren die Brandschäden zu reparieren gewesen wären, ließ der damals kaum vierzigjährige Wolf Dietrich in einem elfjährigen Vernichtungswerk die Kathedrale dem Erdboden gleichmachen. Wiederholt versuchten Bürgermeister und Stadtrat, ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Sie gaben ihm zu bedenken, dass das damals 800 Jahre alte Bauwerk der heilige Virgil errichtet hätte. Aber der Fürst war mit Pietät nicht belastet. „Ach was, Virgil“, soll er geantwortet haben, „Maurer haben ihn gebaut!“
So also kam's zum heutigen Dom. Keine Seite in dem Buch, in dem Johannes Neuhardt nicht Bezüge herstellt zwischen Geschichte im Großen und im Kleinen, Wirtschaft, Zeitgeist und Kunst. Wechselwirkungen werden greifbar. Als Kirchenmann war der Autor nicht nur Funktionär. Er war und ist immer ein sehr eigener Kopf. Mit Widerspruch von seiner Seite ist nach wie vor immer zu rechnen, und wenn es um Salzburg geht, dann fällt dieser nicht selten vehement aus. Das spiegelt sich im eröffnenden Essay des Buches, der den Titel Genug ist genug trägt. Manch Widersprüchliches erkennt Neuhardt in der Stadt, in der gerade die weit über tausendjährige kirchliche Präsenz nicht nur Spuren in der Kunst, sondern auch im Selbstverständnis hinterlasssen haben. Diese idiomatische geistliche Präsenz sieht er wanken, mehr aber macht dem Prälaten die gegenwärtige Niveaulosigkeit zu schaffen: „Ich sehe in Salzburg seit langer Zeit Menschen in hoher Verantwortung, denen die geistigen und geistlichen Voraussetzungen dazu fehlen. Die Verzwergung der Stadt macht mir Sorge.“
Im letzten Abschnitt Salzburg und das doppelte Gesicht der Aufklärung liefert Johannes Neuhardt, der heute Dienstag (22.9.) seinen 90. Geburtstag feiert, autobiographische Zimelien. Da erfahren wir so manche Einzelheit aus der Zeit des Nationalsozialismus, wach aufgenommen von einem Burschen, der damals im Dom ministrierte. Was selbst beobachtet oder bei gesprächen in der Familie aufgeschnappt hat, das verschwimme in der zeitlichen Distanz, räumt Neuhardt ein. Woran er sich gut erinnert: An den behelfsmäßigen Gymnasialunterricht unmittelbar nach dem Krieg: „Im Studiensaal saß ich auf eine Distanz von zwei Metern Thomas Bernhard gegenüber. Er war eine Klasse unter mir.“ Dieser Thomas Bernhard nannte den Geistlichen Franz Wesenauer, der dort Hauskaplan war, in seinem Buch Die Ursache als „rotes verlogenes Bauerngesicht“. Ner neunzigjährige Johannes Neuhardt kannte alle Protagonisten von damals persönlich.