Drahtzieher - trotzdem ehrenwert
HANDWERKER, BRAUER, WIRTE UND HÄNDLER. SALZBURGS GEWERBLICHE WIRTSCHAFT ZUR MOZARTZEIT
29/01/10 Glockengießer, Weber, Kaminkehrer - kann man sich noch immer gut vorstellen. Bei „Drahtzieher“ stutzt man ein wenig, denkt man heute doch eher an zwielichtige „Dunkelmänner“, denn an ehrenwerte Handwerker.Vollkommen ratlos ist man dann bei „Schopper“, „Sporer“ oder „Nadler“, während man sich für die „Gürtler“ möglicherweise ein ganz falsches Berufsbild zurechtzimmert. Was „Stadtköche“, „Krautschneider“ oder „Tanzmeister“ getan haben, kann man sich wiederum gut vorstellen - und liegt meist auch richtig. Die „Bergputzer“ gibt es bis heute.
Das klingt jetzt alles viel „lockerer“, als es in dem bordaux-rot broschierten Monumentalwerk tatsächlich zu lesen ist. Buch und Inhalt "erschlagen" einen tatsächlich: mit dem wenig augenfreundlichen zweizeiligen Maschinchreib-Umbruch ebenso, wie mit den unendlich vielen Jahreszahlen, Hausnummern, Geburtsdaten oder Gesetzblattnummern.
Wer freilich bereit ist, darüber hinwegzusehen und sich durchzukämpfen, wird reich belohnt: mit einem geradezu unglaublich farben- und facettenreichen Blick in vergangene Zeiten. Die Gesellschaft für „Salzburger Landeskunde“ und die „Triendl-Stiftung“ haben dieses umfangreiche Buch über „Salzburgs gewerbliche Wirtschaft zur Mozartzeit“ herausgebracht. Geworden ist es nicht nur ein spannendes „Nach“- sondern bei Bedarf auch ein wirkungsvolles „Zuschlage“-Werk im A4-Dissertations- bzw. Habilitations-Format von geschlagenen 1,955 Kilo.
Es war eine Sisyphus-Arbeit: basierend auf den Notizen des 1966 verstorbenen Friedrich Breitinger. Dessen stenographisches Forschungskonvolut zur Salzburger Wirtschaft zur Mozartszeit ruhte - stilvollerweise - im Archiv der Stiftung Mozarteum. Lesen konnte diese spezielle Stenographie bald niemand mehr. Außer Friedrich Breitingers Tochter Elfriede und dessen Mitarbeitern, Frau Kissel, die das Ganze in die Schreibmaschine tippte.
Der im Vorjahr verstorbene Kurt Weinkamer ordnete schließich, ebenfalls in einem Lebenswerk, die Aufzeichnungen nach Berufsgruppen und Gerda Dohle erarbeitete das für einen solchen Band unverzichtbare Register (weitere 136 Seiten). Jedenfalls überwältigt die in diesem Monumentalband greifbare Fülle an Information, die immer wieder auch aufgelockert wird durch Zeitungsausschnitte, etwa über „Walzer-Tanzverbote“.
Handwerk hatte damals tatsächlich „goldenen Boden“: Was gab es nicht alles für Spezialisten! Der „Betenmacher“ erzeugte Devotionalien. „Lehenrössler“ sind Lohnkutscher, heute: Fiaker. Der „Goldschlager“ Johann Peter Reichsiegel war imstande, aus einem Dukaten nicht weniger als 24 Quadratmeter Blattgold mit einer Stärke von einem Zehntausendstel Millimeter Dicke herzustellen!
Das Ganze hat sich keineswegs nur im historischen Stadtkern abgespielt: So ist es amüsant zu lesen, dass der Feldwebel Michael Aichholzer im Blockhaus am "Hangenden Stein" wöchentlich 2 Eimer Bier „zur Beförderung der durchpassierenden Wahlfahrter“ ausschenken durfte. Damit ersparte sich die Obrigkeit wohl ein höheres Gehalt. Freilich barg dies die Gefahr, dass er Konterbande (Schmuggler) mit Nachsicht behandelte, wenn diese bei ihm zechten.
Dass heute Einzelnes überholt ist, liegt in der Stadtentwicklung - und im Ableben der Autoren begründet. So gibt’s das „Weiße Kreuz“ in der Bierjodlgasse nicht mehr und der „Mohr“ in der Judengasse gehört Peter Habich schon lange nicht. Aber das sind vernachlässigbare Marginalien. Was speziell „Alt-Salzburger“ faszinieren dürfte, sind die vielen wieder erwachenden Erinnerungen. (dpk-reisch/klaba)