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Deine Abwesenheit ist unbedingt notwendig!

BUCHBESPRECHUNG / ELFRIEDE KERN / DAS NESSELHEMD

12/09/17 Nach 15 Jahren gibt es Neues von Elfriede Kern: Wie in ihren vorhergehenden Texten geht es auch in „Das Nesselhemd“ um eine Frau auf einer Irrfahrt, um patriarchalische Macht sowie um das Changieren zwischen Realität und Traum.

Von Verena Resch

Sam und Meret sind die Protagnisten in „Das Nesselhemd“. Mangels einer alternativen, besser passenden Bezeichnung drängt sich das Wort ‚Paar‘ auf. Doch so einiges sträubt sich dabei, denn das, was man sich für gewöhnlich unter einem Paar vorstellt, verkörpern die beiden absolut nicht. Von Zuneigung auf körperlicher oder gar emotionaler Ebene kann nicht die Rede sein – im Gegenteil! 

Sam nistet sich im Haus ein, das Meret von ihren verstorbenen Eltern geerbt hat, und er schickt sie - nicht zum ersten Mal - fort auf Reisen. Eine Reise, die er lange Zeit im Voraus organisiert und in deren Planung er vollends aufzugehen scheint. „In deinem Bettchen schlafen, von deinem Tellerchen essen, aus deinem Becherchen trinken“, so sein selbst geäußerter Wunsch. Die Einwände Merets, doch bis nach dem nahenden Winter zu warten, damit die Gefahr, krank zu werden, für sie nicht so groß sei, winkt er ab. Als es soweit ist, fährt Sam mit Meret im Bus bis zur Endstation, lässt sie dort an einem Waldrand aussteigen. Sein Gebot - Meret solle solange fortbleiben als möglich: „Deine monate-, wenn nicht jahrlange Abwesenheit ist unbedingt notwendig, um alles zum Guten zu wenden. Kehrst du zu früh zurück, war alles umsonst.“

Vieles bleibt unklar. Worin besteht das Gute, das auf diese Weise kommen soll? Auch an Hintergrundinformationen erfährt der Leser nichts. Die Zeit, in der sich die Handlung abspielt, ist ebenso unmöglich zu definieren, wie der Ort des Geschehens. Ebenso bleiben Details zu Alter oder Vergangenheit der Personen bis zuletzt unklar.

Es gibt nicht nur explizite Anspielungen auf Märchen der Gebrüder Grimm wie „Die sieben Schwäne“, die an diese Gattung denken lassen. Auch die teilweise altmodisch anmutende Sprache und das düstere Setting, das die Autorin zeichnet, erinnern stark an Märchen.

Während ihrer Reise beginnt Meret, eine Art Reisebericht zu verfassen. Genau genommen sind es sogar zwei Berichte: In ein Heft will Meret schreiben, was sich tatsächlich zugetragen hat, und in das andere, was möglicherweise geschehen könnte. Diese beiden Ebenen verwischen jedoch, Meret bringt die Hefte durcheinander und für den Leser wird es zusehends unmöglich, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Das Schreiben ist für Meret jedoch zugleich auch eine Art der Selbstbehauptung und eine Befreiung aus dem Diktat Sams – mit fortdauernder Reise wird Meret zunehmend eigenständiger.

„Das Nesselhemd“ hat seine Längen. Wendungen wie „hat Sam gesagt, habe ich geschrieben“, die sich in Variation unzählige Male wiederholen und die fehlende Untergliederung des Textes in Kapitel oder Absätze erscheinen anfangs etwas mühsam. Doch zum Ende hin wird immer deutlicher, wie genau durchdacht und durchkomponiert Elfriede Kerns Roman ist.

Elfriede Kern: Das Nesselhemd. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2017. 254 Seiten, 23 Euro - www.jungundjung.at

 

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