Jetzt-Musik und Gänsehaut
PAUL HOFHAIMER TAGE / COMPANY OF MUSIC
30/05/16 Nach Radstadt zu den Hofhaimer Tagen muss man fahren, um ein Chorkonzert ausschließlich mit zeitgenössischen acapella-Werken zu hören. Am Samstag (28.5.) war Company of Music in der Klosterkirche zu erleben. Chormusik mit Gänsehautgarantie.
Von Heidemarie Klabacher
György Ligetis sechzehnstimmig schillerndes „Lux aeterna“ aus 1966 war das älteste Stück im Programm und passte gerade noch in den von Johannes Hiemetsberger ausgesteckten Zeitrahmen: „Die Musik in diesem Konzert ist maximal fünfzig Jahre alt.“
Eröffnet haben Company of Music ihr Programm mit dem „Trauermarsch mit einem Unglücksfall“ von Per Nørgård. Das ist eine augenzwinkernde, dem Prinzip der Wiederholung verpflichte Miniatur gespickt mit feinsten Variationen und Verschiebungen, die es dem zu spät kommenden Sänger – unauffälliger Soloauftritt quer über den ganzen Altarraum – zum Haare raufen unmöglich machen, „hineinzufinden“.
Heftig geschimpft wird in Veljo Tormis „Kukku ja kukku“. Worüber wurde nicht ganz klar (und die Sänger wüssten aus auch nicht recht, so Hiemetsberger). Denn die Sprache ist „Vepsisch“, das außer ein paarhundert Menschen in einer Sprachinsel zwischen Estland und Lettland niemand mehr auf dieser Welt spricht und versteht.
Diesen beiden „Zugabenstücken“ zum Auftakt entsprachen zwei an richtiger Stelle ins Programm integrierte Zugaben zum Schluss: ein sanftes Wiegenlied und ein weiterer Tumult von Veljo Tormis auf „Vepsisch“, der wild changierend hin und her tobte zwischen kontrapunktischen und homophonen Passagen.
Sie taten sehr gut, diese heiteren, frechen – technisch natürlich enorm anspruchsvollen – mit atemberaubender Präzision locker leicht hin gefegten – Intermezzi. Denn dazwischen fuhren Company of Music unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger schwere Geschütze auf. Große Kaliber der zeitgenössischen Vokalmusik, wie etwa die „zehn Minuten politischer Musik“, die Iannis Xenakis in seinem Stück „Nuits“ konzentriert. Text- oder Wortschnipsel aus dem Sumerischen, Assyrischen und anderen alten Sprachen sind in diesem Stück aus 1967/68 zu einem wilden schmerzhaften Aufbegehren gegen die Verletzung von Menschenrechten konzentriert. Einzig das unmittelbar anschließende „Wiegenlied“ von Veljo Tormis verhinderte ein Erstarren in der Verzweiflung.
Ähnlich die Programmdramaturgie einen Werkblock zuvor: Von Bo Holten erklang aus dem Zyklus „The Marriage of Heaven and Hell“ auf Gedichte von William Blake zunächst der elegische Klagegesang „The sick Rose“, ein bewegendes Absterben. Und dann „The Tyger“, in dem Dichter und Komponist mit Brachialgewalt darüber philosophieren, wie denn ein Schöpfergott, der eine solche Bestie geschaffen hat, selber beschaffen sein muss. Chormusik mit Gänsehautgarantie.
Und was folgte? Natürlich ein heiterer Veljo Tormis. Wenn schon niemand mehr die fast untergegangene ostseefinnische Sprache versteht, wissen die Konzertbesucher wenigstens, wie nach Tigergebrüll die Katze auf „Vepsisch“ miaut: „Kiisu-miisu“ nämlich.
Der große zwischen Rezitation und vielstimmiger Klangpracht changierende Psalm „Voce mea ad Dominum clamavi“ von Benedikt Burghardt aus dem Jahr 2000. György Ligetis „Lux aeterna“ aus 1966. Das „Frühlingslied“ in dem Siemens-Musikpreisträger Per Nørgård Rilkes Text quasi in Einzelsilben wie Blütenblätter daherschweben lässt. Und Pier Damiano Peretti, der sich gezwungen sieht, alle paar Jahre den Sonnengesang des Heiligen Franz neu zu vertonen, mit der aktuellen Fassung seines „Canticum Creaturarum“ aus 2015: Mit ihrer Hilfe haben die grandiosen 16 Damen und Herren von Company of Music unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger ihr Publikum das Staunen über vokale Perfektion und das Atemanhalten über eineinhalb Stunden gelehrt.