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Performance im Schnee

HINTERGRUND / FLACHAU / FESTIVAL minus20degree

25/01/24 Hermann Maier, Nachtslalom oder Schneekanone fallen einem typischerweise ein. Doch seit 2012 findet in Flachau alle zwei Jahre auch das Festival minus20degree statt – eine Biennale für zeitgenössische Kunst und Architektur. Erstmals gibt es mit der Parallelausstellung plus20degree im Traklhaus eine direkte Verbindung zwischen Stadt und Land.

Von Heidemarie Klabacher

Sechzehn Jugendliche aus Flachau und Umgebung. Sechzehn unbewegliche Blicke in die Kamera. Dennoch sind es bewegte Porträts, keine Fotos, die nacheinander auf den Schnee projiziert werden. Sofern nach dem Regenguss am Mittwoch (24.1.) noch brauchbarer Schnee liegt... Nachdenkliche Jugendliche. „Sie sind die Zukunft der Region, schauen der Gegenwart direkt in die Augen. Sie wirken eindringlich und magisch auf der Oberfläche des vergänglichen Materials Schnee, dessen Präsenz in den kommenden Jahren immer weniger gesichert ist.“

In all ihrer Stille und Ruhe sind Die WächterInnen der Filmemacherin und Künstlerin Anouk Chambaz womöglich das radikalste Projekt beim heurigen Festival minus20degree. „An der Schwelle zur Adoleszenz stehend, betrachten sie die Welt um sich herum: Ist sie ein Plateau oder stehen sie am Rande eines Abgrunds? Wo sind die phantasievollen Werkzeuge, um die kommende Zeit zu gestalten“, fragt die Künstlerin.

Dass sich Ski-Touristen wundern, wenn sie auf Eis und Schnee, auf Piste oder Loipe, bei Kasnockn oder Apres Ski über Performance und Klanginstallation „stolpern“ und statt ins Rutschen ins Nachdenken geraten – das ist möglich und erwünscht. Bei den Einheimischen finde minus20degree nach sechs Ausgaben „wachsendes Verständnis“, so der Intendant Theo Deutinger. Die siebte Ausgabe von von minus20degree findet von heute Donnerstag (25.1.) bis Samstag (27.1.) statt und bringt „sieben eigens für die Landschaft rund um Flachau konzipierte Arbeiten zum Thema Plateau“. Schnee ist Baumaterial, Projektionsfläche und Bühne für Film, Performances und Sound-Arbeiten.

Eröffnet wird heute Donnerstag (25.1.) um 18.30 Uhr. Das Programm beginnt täglich um 11 Uhr. Neben den sieben Kunstprojekten gibt es Wander-Seminare zum diesjährigen Festivalthema Plateau mit dem Architekturphilosophen Andrej Radman, der Ethnologin  Judith Laister und dem Altenmarkter Künstler und Performer Maximilian Steiner. Im minus20degree-Zentrum auf dem Alten Dorfplatz, das von Studierenden der FH Münster geplant und – soweit als möglich – aus Schnee errichtet wurde, gibt es heiße Suppe, warme Getränke und Diskussion. Abends gibt es geführte Wanderungen zu den sieben künstlerischen Arbeiten. Alle Programmpunkte sind kostenlos, die Arbeiten rund um die Uhr zugänglich.

Nicht nur Flachau ist heuer Spielstätte: „Mit der Parallelausstellung plus20degree im Traklhaus in der Stadt Salzburg wird das erste Mal eine direkte Verbindung zwischen Stadt und Land hergestellt“, berichtet Intendant Theo Deutinger. Die sieben Künstlerinnen und Künstler, die in Flachau arbeiten, stellen auch im Traklhaus aus. Diese Ausstellung ist bis 10. Februar zu sehen. Während des minus20degree-Festivals gibt es einen kostenlosen Shuttledienst von Salzburg nach Flachau. Eine Livekamera zeigt den Besucherinnen im Traklhaus die Wettersituation in Flachau und die Kunstwerke.

Fünf der sieben künstlerischen Beiträge wurden aus einem im Herbst 2022 ausgeschriebenen Open Call ermittelt. Es gab insgesamt 363 Einreichungen aus fünfzig Ländern. Eine internationale Jury hat die Beiträge ausgegewählt. Die Projekte wurden entlang eines Rundwegs durch die Flachauer Landschaft angelegt. Stationen sind „für das Dorf Flachau bezeichnende Orte wie Autobahnbrücke, Feld, Kinderspielplatz oder Skipiste“.

Der Intendant, im Brotberuf „Architekt, Urbanist und Kurator“, ist in Flachau selber mit einer Arbeit vertreten. Theo Deutinger verbindet Architektur, Stadtplanung und Forschung, er schrieb theoretische Abhandlungen über Veränderungen in der europäischen Stadtkultur. Sein Projekt in Flachau heißt Nordpol und ist eine Performance, „bei der die Besucherinnen das Raumschiff Erde verlassen und dem Planeten beim Drehen zusehen können“. Dazu wird eine schneebedeckte Drehbühne innerhalb von 24 Stunden von Menschenhand einmal um ihre Achse gedreht. „Die Rotationsgeschwindigkeit am Bühnenrand beträgt 1,8 Zentimeter pro Minute und ist mit bloßem Auge wahrnehmbar“, so Deutinger. Nordpol versuche, die Idee der Erde als Gefährt erfahrbar zu machen. „Das Raumschiff Erde dreht sich am Äquator mit 1.670km/h um seine eigen Achse und rast mit 107.000km/h um die Sonne“, erinnert der Künstler. „Auch wenn wir vermeintlich nichts tun, sind wir unterwegs. Stillstand ist reine Illusion.“

Andreas Trobollowitsch ist ein in Wien lebender Komponist und Klangkünstler. Sein Projekt Unter der Autobahn basiert auf dem Volksmusikklassiker Auf der Autobahn von den Original Oberkrainern. Unter der Autobahn wird zusammen mit dem Trompetenduo Alex Kranabetter/ Martin Eberle und der Flachauer Peitschengruppe aufgeführt. Natürlich unter einer Autobahnbrücke. Die Salzburger Künstlerin Sigrid Langrehr präsentiert mit dem Kollektiv Misz Sputnik die Performance Aprés Ski. Eigens komponierte und verfremdete Aprés Ski-Lieder werden von einer Live-Band gespielt. „Die Reste der Party bleiben als Installation und Beweis im Schnee zurück.“ Die Gäste sind eingeladen, sich zu beteiligen. Das ungarische Künstlerinnenkollektiv SVUNG Research Grooup lädt mit der Performance Kalter Komfort „zu einem Parcours der körperlichen Wahrnehmungen ein“. Sprich: „BesucherInnen hören einem Kryotherapeuten zu, während sie in der Sauna schwitzen und trinken einen heißen Aufguss, während sie in eiskaltem Wasser stehen.“ Die Tänzerinnen und Schauspieler der Forschungsgruppe sind auch „in Permakultur, Waldbaden, Naturführung und Klettern ausgebildet“ und haben mit Tieren oder in ländlichen Gegenden gelebt.

Die Installation Perfect Fifth des deutsch-österreichischen Künstlers und Architekten Andreas Zißler besteht aus zwei verschieden großen Schneehöhlen, in denen eine akustische Rückkopplung erzeugt wird. Die Rückkopplungsfrequenz sei von der Größe der Kammern abhängig, wodurch das Intervall einer reinen Quint – englisch perfect fifth – gestimmt werden könne. Die Arbeit sei eine räumliche, mittels Schnee umgesetzte Interpretation der Minimal-Komposition 160 #7 von La Monte-Young, die aus einer einzigen Anweisung besteht: „Halte eine reine Quinte für eine lange Zeit.“ Liang-Jung Chen, eine in London lebende taiwanesische Künstlerin, Designerin und Forscherin, und der Schweizer Künstler Fabio Spink präsentieren mit Windschatten eine Live-Performance mit drei tragbaren Windsäcken. Künstlerisch vermessen wird der Luftstrom beim Skifahren, Rodeln und Schneeschuhwandern. Anouk Chambaz ist eine italienisch-schweizerische Filmemacherin und Künstlerin. Sie beschäftigt sich mit der Poetik und Politik des bewegten Bildes. Ihre Arbeit Die WächterInnen zeigt, wie oben ausgeführt, Videoporträts von 16 Jugendlichen aus Flachau und Umgebung.

minus20degree – von Donnerstag (25.1.) 18.30 bis Samstag (27.1.) in Flachau – www.m20d.eu
das Detailprogramm zum Download – static1.squarespace.com
Bustransfer ab Busterminal Nonntal nach Flachau – am Donnerstag (25.1.) um 17 Uhr, am Freitag (26.1.) um 15.30 und am Samstag (27.1.) um 13 Uhr, der Transfer ist kostenlos, Anmeldung erforderlich unter +43 670 4041678
Bilder: m20D / Saskia Scorselo; Theo Deutinger (2); Phillip Bohar; Andreas Zißler
 

 

 

 

 

 

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