Der toteste Hund aller Zeiten
IM KINO / DIE VERMESSEUNG DER WELT
31/10/12 Indiana Jones oder Universum? Kannibalenfilm oder Geschichtslektion? „Die Vermessung der Welt“ ist gescheitert. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Daniel Kehlmann weiß nicht, was sie sein oder erzählen will. Der Film ist in seiner eigenen Bilderflut ersoffen.
Von Heidemarie Klabacher
Wieder einmal ist aus einem literarischen Meisterwerk ein plumper Film geworden. Und man darf sich nicht einmal darüber aufregen: Der Autor Daniel Kehlmann hat mit dem Regisseur Detlev Buck gemeinsam das Drehbuch geschrieben und leiht für ein paar Filmsekunden sogar sein pausbäckiges Gesicht einem intriganten preußischen Hofschranzen. Er muss sich also damit identifizieren.
Wolf Haas zum Beispiel hat ja auch mitgeschrieben an den Drehbüchern zu den Murnberger-Verfilmungen seiner Brenner-Krimis (und hat sich auch den einen oder anderen Cameo-Auftritt geleistet). Doch das waren ganz neu augestellte Stories, die in einzigartiger Weise die Atmosphäre der jeweiligen Bücher transportiert haben.
Daniel Kehlmann, der gerne gegen den Zeitgeist wettert, scheint sich besagtem Zeitgeist schlicht und einfach angebiedert zu haben.
Der eine im stillen Kämmerlein, der andere in der großen weiten Welt, ein Theoretiker, ein Praktiker, beide vermessen sie die Welt: Carl Friedrich Gauß, das Mathematikgenie aus armseligen Verhältnissen, auf dem Papierund Alexander von Humboldt, der Naturwissenschafter von Adel und Selbstbewusstsein, am Äquator. Um diese beiden historischen Figuren lässt Daniel Kehlmann die Fiktionen in seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ sich ranken.
In diesem federleichten Text stehen die meisten Dialoge in indirekter Rede, wird die Düsternis der Göttinger Studierstube ebenso von Ironie durchlüftet, wie die giftgeschwängerte Luft im Dschungel des Amazonas. Aus diesem literarischen Meisterstück wurde ein über-bunter, über-realistischer Film, dessen Hochglanzbilder einem auch noch mit der 3D-Keule eingebleut werden.
Detlev Buck und Daniel Kehlmann haben dafür gesorgt, dass der Phantasie des Betrachters garantiert kein Fitzelchen Freiraum mehr bleibt. Die Kamera von Slawomir Idziak hält dabei entweder paparazzimäßig distanzlos auf Nahaufnahme oder sie ergeht sich in endlosen Cinemascopebildern von Flüssen, Bergen und Gletschern. Natur wird zum Breitwandkitsch. Der Amazonas ist zu breit, seine Papageien sind zu bunt, seine Wilden zu wild, seine Missionare zu verschlagen. Deutschland ist zu dreckig, der Gatsch in den Straßen Göttingens zu tief, seine Armen sind zu arm, seine Kürschner, Wäschermädel und Zahnbrecherzu pittoresk.
An den Schauspielerinnen und Schauspielern liegt es nicht. Aufgeboten ist bis in kleine und kleinste Rollen alles, was Rang und Namen hat. Albrecht Abraham Schuch ist ein strammer Humboldt, der sich von Menschenfressern und anderem undeutschen Gesindel nicht von seinem Weg abbringen lässt (und wenn, wird der Umweg halt auch vermessen).
Florian David Fitz überzeugt als stiller, ein wenig verklemmter Carl Friedrich Gauß weit mehr. Sein Understatement als Darsteller, seine weltentrückte Figur, die noch in der Hochzeitsnacht einen mathematischen Beweis führen muss, scheint gegen das plumpe Setting immun zu sein, kann aber auch nicht viel dagegen ausrichten. In den Gauß-Szenen, die nicht in Armut und Dreck versinken, ist noch am eheseten die literarische "Vorlage" mit ihrem subtilen Witz spürbar. Jérémy Kapone als Humboldts Wegbegleiter Aimé Bonpland ist auch so ein Lichtblick, der im Dunst nicht recht zur Wirkung kommt. Dies gilt auch für Vicky Krieps als Gauß’ Verlobte und Kurzzeitehefrau Johanna.
Sunnyi Melles als Schauer-Baronin von Humboldt, Karl Markovics als prügelnder aber hellsichtiger Lehrer Büttner, Michael Maertens als Herzog von Braunschweig, Peter Matic als Immanuel Kant: Sie alle sind Staffage in einem überbunten Film, der an divergierenden Intentionen einfach gescheitert ist: Literatur-, Abenteuer- oder Naturfilm? Oder eine Lektion in Deutscher Geschichte aufgeschlagen beim Kapitel Karlsbader Beschlüsse? Nein, das sicher nicht. Die Zensur hätte so einen Kitsch verboten.