Robinson Crusoe im Stadtwäldchen?
IM KINO / DIE SUMME MEINER EINZELNEN TEILE
13/04/12 Das Lösen eines Sudoku ist für Martin ein Klacks, er nimmt seiner Sitznachbarin im Autobus das Heft einfach aus der Hand und schreibt die Zahlenkolonnen scheinbar ohne Nachdenken nieder. Schwieriger schon: das Leben als solches zu bewältigen.
Von Reinhard Kriechbaum
Am echten Leben nämlich scheitert Martin kläglich. Aus dem Super-Mathematiker wird nach einem Nervenzusammenbruch und längeren Aufenthalt in der Psychiatrie ein wohnungsloser Sozialfall. Er landet auf der Straße und lernt dort ein ukrainisches Straßenkind kennen lernt. Der Knabe scheint routiniert im urbanen Überlebenskampf. Zwischen Martin und dem Jungen entwickelt sich – so scheint es jedenfalls – eine Herzensbindung. Die beiden sammeln Pfandflaschen im Müll, am Stadtrand von Berlin tauchen sie im Wald unter, bauen ein Laub-Haus.
Eine mehr als unwahrscheinliche, genau genommen hanebüchene Robinson-Crusoe-Geschichte im Weichbild einer Millionenstadt? Höchst absurd, unentdeckt bleiben zu wollen in einem ordentlich durchforsteten, übersichtlich gelichteten Laubwäldchen? Wer befremdet ist, bekommt nach rund einer Filmstunde die Bestätigung: Er ist richtig gelegen mit dem Verdacht, dass die biedermeierliche Idylle einfach zu schön gewesen ist, um wahr zu sein. Viel mehr darf man wohl nicht verraten von der Handlung, vom Geheimnis des ukrainischen Buben und auch nicht von jenem der jungen Frau, die sich wie beiläufig in die Handlung einschleicht. Die Zahnarzt-Assistentin träumt auch von Ausstieg und Neubeginn – und ihre Vorstellungen davon sind ungefähr so nebulos wie jene vom Mathematiker Martin, der in seinem gegenwärtigen neuen Leben besser auf andere Dinge vertraut als auf Zahlenreihen.
Der Streifen „Die Summe meiner einzelnen Teile“ von dem aus Vorarlberg stammenden Filmemacher Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“) wurde für den Deutschen Filmpreis nominiert, Hauptdarsteller Peter Schneider als „bester Schauspieler“. Ist die Flucht ins Märchen die Lösung, die gelebte Utopie? Am Rand der Zivilisation lässt es sich offenbar recht kommod leben. Jedenfalls so lange es Frühling und weder Platzregen noch Kälteeinbruch zu erwarten sind. Die Zukunftsaussichten für die die drei Protagonisten scheinen jedenfalls höchst vage. Der Kitsch ist im Detail verwunderlich, bekommt aber im Nachhinein eine gewisse Rechtfertigung. Leider, wir können das hier nicht vertiefen, denn die Zuschauer sollen ja was haben von dem Film.