Ganz oben auf dem Berg der Retro-Welle
IM KINO / DRIVE
09/02/12 Ein einsamer Stuntdriver und sein Auto. Ein Mädchen. Ein krummes Ding das total schief geht. Wahrlich kein origineller Stoff, er würde jedem x-beliebigen Actionfilm der B-Kategorie gerecht. Doch was der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn daraus macht, grenzt an ein kleines Kinowunder.
Von Andreas Öttl
Sein ruhiger, atmosphärischer und perfekt durchstilisierter Film darf als Genre-Meisterstück bezeichnet werden. Der Regiepreis, den Nicolas Winding Refn dafür in Cannes überraschenderweise erhalten hat, ist jedenfalls wohlverdient.
Angefangen beim Synthpop-Soundtrack bis zu den pinken Credits („Risky Business“ lässt grüßen!) ist „Drive“ vor allem eine Hommage an das Actionkino der 70er und 80er Jahre, wenngleich der Film einen unverkennbaren eigenen Stil hat. Der Film gehört damit zur aktuellen Retro-Welle die nach sämtlichen anderen Ausprägungen der Populärkultur nun auch im Kino Einzug gehalten hat. Filme wie „Super 8“ oder „The Artist“ werden bewusst im Stil einer bestimmten Epoche gedreht um deren Lebensgefühl wieder aufleben zu lassen.
„Drive“ hat aber auch einen postmodernen Touch. Im Vergleich zu den wenig feinfühligen Vorbildern wie Walter Hill’s „The Driver“ oder Peter Yates’ „Bullitt“ gleicht der Film einem Kunstwerk. Und auch Hauptdarsteller Ryan Gosling kann es in puncto Coolness durchaus mit Steve McQueen aufnehmen.
„Drive“ ist vor allem ein Stimmungsfilm, in den man sich regelrecht verlieren kann. Keiner mit großem Anspruch und keiner an den man sich in Monaten noch erinnert – intensivere Kinomomente erlebt man aber selten. Bilder, Töne, Musik und Schnitt bilden eine harmonische Einheit. Die im gehobenen Actionkino altbewährte, bewusst kontrastierte Mischung aus poetischen Szenen und Ausbrüchen brutaler Gewalt wird hier auf die Spitze getrieben. Schon die bisherigen Filme des dänischen Regisseurs (wie etwa die „Pusher“ Trilogie) waren nichts für Zartbesaitete, doch als Teil seiner existentialistischen Vision sind solche Exzesse durchaus legitim.
Zu guter Letzt ist „Drive“ auch ein großartiger Film über Los Angeles und jene quälende Großstadt-Einsamkeit. Da kann eine einzige Begegnung mit einem Menschen schon ausreichen, dem Leben wieder einen Sinn zu geben. Auch wenn der Hauptanziehungspunkt des Films – wie auch der Glitzermetropole selbst – die schillernde Oberfläche ist. Im Subgenre des L.A. Noir ist „Drive“ jedenfalls ein Meilenstein.