Wenig Stimmung beim Tod in Venedig
FILMKRITIK / A HAUNTING IN VENICE
06/10/23 Die besten Venedig Filme der Filmgeschichte sind vor allem jene, welche die melancholische Seite der verfallenden, vom Untergang bedrohten Stadt betonen und diese nicht nur als Kulisse, sondern auch als Ausdruck des Innenlebens der Protagonisten ins Szene setzen. Man denke an Viscontis Tod in Venedig, Nicolas Roegs Dont‘ look now / Wenn die Gondeln Trauer tragen sowie Aldo Lados thematisch verwandten Film Giallo Chi l’ha vista morire?
Von Andreas Öttl
Ansprüche an psychologischen Tiefgang sollte man naturgemäß an eine gelackte Hollywood-Großproduktion wie dem kürzlich im Kino angelaufenen Mysterythriller A Haunting in Venice gar nicht erst nicht stellen. Regisseur Kenneth Branagh liefert mit seiner dritten Agatha-Christie-Verfilmung, in der er erneut den Meisterdetektiv Hercule Poirot spielt, daher auch nicht mehr als niveauvolle Unterhaltungskost. Diese ist jedoch auch in diesem neuen Fall zumindest ein willkommener Gegenpol zum Einheitsbrei moderner, überladener und rasant geschnittener Thriller, die sonst in den Multiplex-Kinos zu sehen sind.
Poirot, der inzwischen im Ruhestand im selbstgewählten Exil in Venedig lebt, nimmt widerwillig an einer Séance in einem verfallenen Palazzo, in dem es angeblich spukt, teil. Als einer der Gäste ermordet wird, liegt es erneut an ihm, den Fall aufzuklären. Im Vergleich zu den beiden opulenten, unterhaltsamen, aber etwas biederen Vorgängerfilmen Murder on the Orient Express und Death on the Nile geht der Film deutlich in eine düsterere Richtung. In der Tat ist – untypisch für einen Krimi klassischer Machart – die Stärke des Films weniger der Handlung selber, als der schön-schaurigen (dabei aber nicht wirklich erschreckenden) Gothic Horror Atmosphäre. Zu verdanken ist diese vor allem der Kameraarbeit von Haris Zambarloukos. Erwähnenswert ist auch die stimmungsvolle Filmmusik der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir, welche schon mit ihren Scores für die Miniserie Chernobyl sowie die Kinofilme Joker und Tár für Aufsehen gesorgt hat, hier jedoch erwartbar etwas klassischer zu Werke ging.
Das bunt aus internationalen Schauspielern (u.a. Tina Fey, Kelly Reilly, Michelle Yeoh, Riccardo Scamarcio) zusammengewürfelte Ensemble vermag kaum zu glänzen und bleibt stets im Schatten der von Kenneth Branagh (zumindest in der Originalversion) genüsslich mit klischeehaftem französischem Akzent gespielten Hauptfigur. Dass die in der Ausgangssituation des alternden Detektivs im Exil implizit enthaltenen Themen und Trauma und Vergänglichkeit nicht erforscht werden ist wie eingangs erwähnt bei einem Unterhaltungsfilm tolerierbar. Schwerer wiegt jedoch, dass der Film auch auf der narrativen Ebene enttäuscht: Die Suche nach einem Mörder hat schon einmal für mehr Spaß und Spannung gesorgt.
Bild: www.cineplexx.at