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Sie wissen sehr genau, was sie tun

GRAZ / DIAGONALE / DOKUMENTARFILME

10/04/22 Er stand 2014, als Russland die Krim annektierte, in der ersten Reihe. Genauer gesagt: Der französischstämmige, in den Niederlanden tätige Pressefotograf Pierre Crom stand genau zwischen den jeweils ersten Reihen der gegnerischen Dremonstranten in Simferopol. Eine brenzlige Situation für ihn, aber eine einmalige Möglichkeit, den unversöhnlich Verfeindeten direkt in die verhärmten Gesichter zu blicken.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Annexion der Krim war weitgehend gewaltlos, aber Pierre Crom hat damals als politisch hellwacher Beobachter mit der Kamera das Potential eines ausufernden Kriegs, die Signs of War, erkannt. Er ist dann immer wieder in die Ostukraine gefahren. Im Donbass hat er Szenen miterlebt, die sich in solcher Drastik eher selten in die westlichen Medien durchgesprochen haben. Man hat den Konflikt bei uns eindeutig zu lange als ein Rand-Scharmützel wahrgenommen, nicht viel anders als einst die Querelen ums moldawische Transnistrien. 2014 schaute man aus der EU viel lieber auf den west-orientierten Majdan in Kiew.

Der in der Ukraine aufgewachsene, in Wien lebende Filmemacher Juri Rechinsky hat dem Pressefotografen Pierre Crom einen nicht nur inhaltlich, sondern auch in der formalen Gestaltung höchst eindringlichen Dokumentarfilm gewidmet, eben mit dem bezeichnenden Titel Signs of War. Pierre Crom sitzt in einer Halle aus Glas und Stahl. Vielleicht die Abflughalle eines Flughafens. In diesem „cleanen“ Raum erzählt er, meist auf Französisch, von seinen Erlebnissen damals. Er hat die Geschichten zu den Fotos bereit, aus denen der Film montiert ist. Als Fotograf hat er einen präzisen Blick und es ist ihm beispielsweise aufgefallen, dass eine Frau, scheinbar eine Zivilistin mit schwarzer Handtasche, eine Kalaschnikow wie ein Profi in Händen hält. Tatsächlich: Es war keine Hausfrau aus Luhansk, sondern eine Undercover-Agentin des russischen Geheimdiensts.

Pierre Crom war an der Absturzstelle der von Russen abgeschossenen Passagiermaschine, als noch Flammen aus den Trümmern schlugen. Es ist ihm gelungen, unmittelbar in die Reihen russischer Soldaten und marodierender Milizen. Der Fotograf erzählt schnörkellos, sachlich, er enthält sich als bilddokumentarischer Profi des politischen Urteils. Seine Fotos sind aussagekräftig genug. Es ist aufschlussreich, die Sprache seiner Hände zu beobachten. Auch ein kaltblütiger Pressefotograf steckt das Gesehene nicht ohne weiteres weg.

Signs of War zeigt die grausige Fratze nationalistischer Verhetzung – und das war ja 2014/15 erst der Anfang. Man möchte sich gar nicht vorstellen, welche Bilder aus dem Donbas wir im Westen zur Zeit nicht zu Gesicht bekommen.

Nationalismus ganz anderer Art ist seit je her Thema der Kärntner Slowenin Andrina Mračnikar. Sie arbeitet mit Konsequenz ihre eigene Familiengeschichte auf. Für ihre Dokumentationen Andri (2002) und Man spricht Deutsch (2006) hat sie auf der Diagonale in Graz schon Preise bekommen. Für ihren neuen Dokumentarfilm Verschwinden / Izginjanje hat sie sich speziell mit der slowenischen Sprache – auch wieder in enger Verbindung mit der eigenen Familien-Erfahrung – befasst. Nur mehr ganz wenige jüngere Leute bedienen sich ihrer im Alltag. Freilich, es gibt zweisprachige Volksschulen in vielen Gemeinden – aber reicht das, um eine Sprache lebendig zu halten? Der Film ist ein eindringliches Plädoyer für den Spracherhalt, weil eben Identität und Erinnerung unmittelbar dranhängen. Die Filmemacherin am Friedhof, vor dem Grabstein ihrer Vorfahren: Der Name wurde einst eingedeutscht. Fledermaus, Dämmerung steckt im slowenischen Namen Mračnikar. „Das eingedeutschte Mratschnigger bedeutet nichts, erzählt nichts“, erklärt sie, die mit ihrem Sohn ausschließlich Slowenisch spricht. Das machen nicht viele jungen Mütter.

Eine weitere Uraufführung auf der Diagonale, ein Stück ultra-aktuelle Zeitgeschichte: Denn sie wissen, was sie tun von Gerald Igor Hauzenberger. Die wundersame Mischkulanz zwischen Esoterikern und Neonazis, Aluhut-Trägern und solchen mit Blumenkleidchen wird oft verwundert registriert und eher ratlos zur Kenntnis genommen. Hauzenberger hat sich als Doku-Filmer mittenhinein begeben in die großen Anti-Corona-Demonstrationen der letzten zwei Jahre und seinen Fokus auf drei Menschen gerichtet, die auch immer dabei waren. Der Aktivist Alexander Ehrlich kommt aus dem extrem-katholischen Eck und stimmt schon mal per Megaphon das Vaterunser an. Der pakistanische Emigrant Numan Mohammad – einer mit LGBT-Hintergrund – schließt sich dort an, wo er sich integriert fühlt. Das sind unglückseligerweise die Demonstrierer. Die Linke hat ihn ganz einfach enttäuscht. Der dritte in der Runde ist Michael Bonvalot, ein Journalist, der ziemlich guten Einblick hat in die Szene und ihre Allianzen, die eben nicht zufällig sind. Da sind viele, die nur zu genau wissen, was sie tun. Der Film macht Gänsehaut, so wie sein Titel. Dass der Protagonist Alexander Ehrlich dann zur Diskussion eingeladen wurde, hat auch böses Blut gemacht bei vielen im Publikum.

Kann man zum Thema „100 Jahre Arbeiterkammer“ einen gleich zweistündigen Dokumentarfilm machen? Constantin Wulff ist's angegangen. Für die Vielen erlebte in Graz jetzt seine österreichische Erstaufführung. Wulff hat in der Wiener Zentrale gefilmt, bei Beratungsgesprächen mit einheimischer und vor allem auch emigrantischer Klientel. Da spiegeln sich unmittelbar die massiven Umbrüche in unserer Arbeitswelt. Und die aufflammende Corona-Pandemie ist als weitere Facette hinzugekommen. Wie arbeitet eine politische Institution, wenn unterschiedlichste Herausforderungen anstehen? Das ist unspektakulär gefilmt, legt aber bloß, wo Wurzelbehandlungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik längst fällig wären.

Die Diagonale endet heute Sonntag (10.4.), am Nachmittag um 17.30 Uhr werden die Siegerfilme bekannt gegeben – www.diagonale.at
Bilder: Diagonale

 

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