Freiheit und Lecksteinsuppe
DIAGONALE / GRAZ / MÄRZENGRUND
08/04/22 Uraufführung von Adrian Goigingers Märzengrund am Donnerstag (7.4.) in Graz. Da gab's für den jungen Salzburger Filmemacher, der 2017 mit Die beste aller Welten hier und auf vielen anderen Festivals Furore machte, besonders herzlichen Begrüßungsapplaus. Aus dem Salzburger Lehen auf die Höhen über dem Tiroler Zillertal: Dort findet der Einzelgänger Elias die beste aller Welten...
Von Reinhard Kriechbaum
Erste Szene: In der Intensivstation reißt sich der alte Mann mit Vehemenz alle Schläuchlein heraus. „Du kummst wieder auffi, Elias“, versucht man ihn zu beruhigen. Auffi – das war immer sein Ziel und bleibt es auch für den Totkranken. Vierzig Jahre war dieser Einzelgänger oben, in der kargen Fels- und Steinlandschaft hoch über der Alm mit dem idyllischn Namen Märzengrund. Eine Legende war er schon zu Lebzeiten. Gutes und Schlechtes hat man sich im Zillertal über ihn erzählt. Es hat den Mann wirklich gegeben. 2004 hat er sich in einem Pflegeheim erhängt. Weil er nicht mehr „auffi“ konnte und durfte.
Wie ist Elias zu einem solchen Sonderling geworden, der sich von Menschen so lange fern hielt? Das hat der Autor Felix Mitterer recherchiert, ein Theaterstück draus gemacht, und das nun hat Adrian Goiginger für einen Film adaptiert. Der kommt daher als ein knorriger Heimatfilm, auf den zweiten Blick aber geht’s auch hier um die Frage nach der Besten aller Welten. Eine solche kann Lehen genau so sein wie das Hochgebirge, sofern es dem jeweiligen Menschen gelingt, in seinem Umfeld sich selbst treu zu bleiben. Nennen wir's nicht das beste, sondern ein authentisches Leben. Und das ist dann wohl das beste...
Der Sohn eines Zillertalers Großbauern hat einfach nicht ins Zillertal, zu den Menschen dort und zu deren Denkweise gepasst. Der Vater hat sich einen kräftig zupackenden Hoferben gewünscht, nicht einen Musterschüler, der Robinson Crusoe und Ulysses liest (eine interessante Kombination übrigens). Und die Mutter, die immer genau wußte wo's lang geht in der Bauerngesellschaft, hat geradezu hysterisch reagiert, als Elias sich ausgerechnet in eine ältere Frau, geschieden obendrein, verliebte. So hat eins ins andere gegriffen. Es lässt sich gar nicht so bestimmt sagen, ob der junge Mann hinausgedrängt wurde oder ob er sich selbst hinauskatapultiert hat aus der vorbestimmten Zukunft als Erbe des väterlichen Hofes. Jedenfalls hat er bei einem Almabtrieb einfach auf dem Absatz kehrt gemacht und ist ganz weit hinauf gewandert mit einigen wenigen Utensilien. In Robinson Crusoe-Manier hat er Steine übereinander geschichtet, Holzstämme beschnitzt und so irgendwo im Nichts eine Hütte gebaut. Hat mit selbstgeflochtenen Käscher und viel Geduld eine erste Forelle gefangen und sie mit „Griaß di“ begrüßt. Im Notfall hat er sich aus einem Leckstein Suppe gekocht - „isch ja alls drin, Salz, Mineralien...“
Diese Geschichte wird in eingeschnittenen Rückblenden weitgehend geradlinig erzählt. Ohne weiß Gott zu psychologisieren. Der Gang der Dinge ist glaubwürdig. Dass Elias schließlich in der kargen Hochgebirgslandschaft die beste seiner Welten gefunden hat, wirkt stimmig.
Das Casting ist eindrucksvoll: Jakob Mader spielt den jungen Elias, einen schlacksigen Bücherwurm, der von seinen Eltern ausschließlich die Dickköpfigkeit erben wird. Der alte Elias ist Johannes Krisch, eine Traumbesetzung. Verena Altenberger ist Moid – auch so eine Unangepasste, die nicht ins Tal gehört, aber dort bleibt. Warum hat Elias eigentlich keinen Versuch unternommen, seine Liebe mit hinauf zu nehmen? Viel geredet hätten sie wahrscheinlich auch droben nicht miteinander. Gerti Drassl spielt die Mutter, eine Gefangene in der bäuerlichen Konvention. Toll ist das Sprachcoaching. Alle haben einen authentisch wirkenden Zillertaler Dialekt drauf, nicht bei einem schägt der urbane Schauspieler durch. Ostösterreicher sind möglicherweise sehr dankbar für die (englische) Untertitelung.