Türenschläger und Zwölftöner
IM PORTRÄT / GERHARD WIMGERGER
02/09/13 „Ein Chaos zu komponieren oder etwas, das Chaos ausdrücken soll, das kann jeder Mensch, der weiß, was die Noten in den fünf Notenzeilen bedeuten und weiß, dass ein Vier-Viertel-Takt 16 Achtel hat und nicht 17.“
Von Heidemarie Klabacher
Ein Gespräch mit Gerhard Wimberger ist ein Erlebnis, ein Geschenk, das der Komponist anlässlich seines 90. Geburtstages dem Gesprächspartner macht. Seinen mit feiner Ironie überzogenen Auslassungen über „Zeitgenössische Musik“ zu lauschen, ist ein Vergnügen.
„Ich habe selber Versuche gemacht mit meinem Computerprogramm. Habe irgendwas gespielt auf der Klaviatur, was im Computer sofort zu Noten wird. Ich habe da einfach was zusammengestellt. Ein Trio. Wenn ich das einem Rundfunkabteilungsleiter gebe, wird das sofort angenommen.“ Er sei jederzeit bereit, sich ans Klavier zu setzen und ein Stockhausen Klavierstück zu improvisieren.
Er selber, so Gerhard Wimberger, könne nicht verstehen, wie man sich die Musik in „Gawain“ (der heuer bei den Festspielen uraufgeführten Oper von Harrison Birtwistle) überhaupt anhören, oder zu manch hochgepriesenem zeitgenössischen Stück sagen könne, „das gefällt mir“. Er habe noch kaum einen Kritiker gelesen, der über ein neues Werk geschrieben habe, er habe das Stück nicht „verstanden“.
„Das verstehe ich nicht – und das hat mit meinem Alter gar nichts zu tun! Ein Chaos zu komponieren oder etwas, das Chaos ausdrücken soll, das kann jeder Mensch, der weiß, was die Noten in den fünf Notenzeilen bedeuten und weiß, dass ein Vier-Viertel-Takt 16 Achtel hat und nicht 17.“
Der neunzig Jahre junge Komponist Gerhard Wimberger lässt sich in keine „Strömung“ oder „Richtung“ einordnen. Auf die Feststellung, er sei kein Angehöriger irgendwelcher „Ismen“ reagiert er hoch erfreut: „Das ist mein großer Erfolg! Das hat aber auch dazu geführt, dass ich nicht zu den bedeutenden Komponisten gehöre.“
Er sei einmal für die Zeitschrift „Melos“ des Schott Verlages als einer von zwölf Komponisten - „Henze auf- und abwärts“ - zu seiner Meinung zur „totalen Serialität“ befragt worden. Er habe als einziger, „einen ganzen großen Vorbehalt geäußert“: „Ich will im Takt 147 den Rhythmus schrieben, der meinem musikalischen Gefühl entspricht und nicht den, der laut irgend eines Regelsystems jetzt folgen zu hat.“
Serialität - stark vereinfacht gesagt - Komponieren nach streng festgelegten mathematischen Regeln: „Kein Mensch schreibt das mehr. Aber diese Denkweise hat dazu geführt, dass es noch immer keinen Schulterschluss gibt zwischen dem zahlendem Publikum und Neuer Musik.“ Das Problem beschäftige ihn seit Jahrzehnten, und habe ihn, so Wimberger, „vorsichtig werden lassen in der Einschätzung von Arnold Schönberg und der Wirkung der Zwölftontechnik“.
„Es gab immer Kompositionsregeln. Aber die Regeln der klassischen Harmonik und Melodik waren abgeleitet vom Denken den 'Schöneren Klanges'. Ein Verstoß gegen diese Harmonielehre-Regeln hat einen weniger wohlklingenden Klang erzeugt. Wenn man im C-Dur-Akkord neben das g ein fis gibt, ist es weniger schön.“ Auch Arnold Schönberg habe Regeln aufgestellt, allerdings Regeln abgeleitet von mathematischer Anordnungstechnik. „Das ist für mich ein Argument, das mich sehr skeptisch sein lässt angesichts der Überschätzung der Zwölftontheorie und ihrer Folgen.“
Er kenne viele lebende E-Komponisten, aber nur ganz wenige, „die von dem, was sie an Tantiemen bekommen, leben können“. Viele von ihnen, er selber eingeschlossen, sind Professoren. Obwohl er selber, wie Wimberger erzählt, einige Jahre vom Komponieren hätte leben können. „Daneben gibt es U-Kollegen, die mit einem vierzig Sekunden–Jingle Millionen verdienen.“
„Alle großen Komponisten haben von was leben müssen. Die großen Verlage heute können es sich leisten, dass sie uns vertreten, uns Materialkosten zahlen, weil sie noch die Rechte auf 'Hofmanns Erzählungen' oder die 'Neue Mozart Ausgabe' haben. Das ist ein unnatürlicher Zustand.“ Es sei, sinniert Gerhart Wimberger, „eine eigentlich in sich verlogene Situation um die Zeitgenössische Musik“: „Das ist kein Markt von Angebot und Nachfrage, sondern kreist in sich selber.“
Wimberger selber wird regelmäßig und keineswegs nur zu runden Geburtstagen aufgeführt. „In Salzburg hat man davon keine Kenntnis genommen, aber erst vor gut einem Monat bei den Tiroler Festspielen Erl ist unter Gustav Kuhn ein Stück von mir uraufgeführt worden. Das Werk – „Klangwege“ - ist gut angekommen. Und zwar bei einem Publikum, das gekommen war, um nach der Pause die 'Neunte' Beethoven zu hören.“ Es freue ihm, so Wimberger, „dass dieses Publikum mein Stück, das nicht nur aus F-Dur besteht, wirklich mochte“. Freilich: „Sie kennen mich lang, Sie wissen: Ich versuche, dem letztlich uns zahlenden Publikum eine Musik vorzusetzen, die es es nicht veranlasst, Türen schlagend den Saal zu verlassen.“
Gerhard Wimberger wurde am 30. August 1923 in Wien geboren und lebt seit 1927 in Salzburg. Er studierte von 1940 bis 1947 am Mozarteum Komposition und Dirigieren, war allerdings von 1941 bis 1945 im Krieg (siehe Teil 1 des DPK-Porträts). Es folgten Stellen in Wien und Salzburg. Von 1948 bis 1951 war Wimberger Kapellmeister am Salzburger Landestheater. Von 1953 bis 1981 leitete er eine Dirigierklasse am Mozarteum, ab 1959 als Außerordentlicher, ab 1969 als Ordentlicher Professor. Von 1971 bis 1991 war er Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele, von 1990 bis 1998 Präsident der AKM (Autoren, Komponisten, Musikverleger) Österreich.