Ein unermüdlicher Zeitzeuge gegen das Vergessen
MARKO FEINGOLD / ZUM 100 GEBURTSTAG
28/05/13 „Es ist nicht möglich, dass niemand gewusst hat, wo er sich versteckt hält…“ Bei der Pressekonferenz zu den Gedenkveranstaltungen zur Salzburger Bücherverbrennung hat Marko Feingold erst jüngst aufhorchen lassen, als er davon erzählte, wie der Haupt-Initiator, der NS-Funktionär Karl Springenschmid, vom offiziellen Salzburg mit den Samthandschuhen des Vergessens und Verdrängens und Vorbeischauens angefasst worden ist.
Von Heidemarie Klabacher
Hofrat Marko Feingold - der Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde der Stadt Salzburg Salzburg, der unermüdliche Mahner - feiert heute Dienstag (28.5.) seinen hundertsten Geburtstag. Vor genau einem Jahr erschien anlässlich des 99. Geburtstages im Otto Müller Verlag seine Biographie „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte“. Ein faszinierendes, ein erschütterndes und zugleich auch Hoffnung machendes Buch, in dem auch schräger Humor nicht fehlt.
Mit kurzen farbigen Porträts der wichtigsten Familienangehörigen beginnt Marko Feingold seine Biographie. Der Großvater wurde noch nach jüdischem Ritus beerdigt. Bei der nächsten Generation heißt es dann schon in Varianten des Grauens „… sind dann vermutlich im Warschauer Getto umgekommen“. Nicht nur tragische, auch durchaus schräge Familiengeschichten sind dabei - wie etwa die bizarre Schnurre mit dem auf einem Ausflug urplötzlich verstorbenen Onkel, dessen Leichnam der junge Feingold dann auf dem Liegesitz seines ersten modernen Autos heimchauffiert hat. Dass auch dieser Onkel und seine Frau Clara (Feingolds Tante väterlicherseits) eine Odyssee von der Wiener Mohrengasse über Kuba, New York nach Long Beach hinter sich hatten – das erzählt Marco Feingold wortökonomisch in drei kurzen Sätzen.
Oder die Mär vom Tod (anscheinend ein Leitmotiv) des Großvaters mütterlicherseits: „Angeblich ist er vergiftet worden, denn da ab es so eine Geschichte: Eine Katze hätte das aufgeschleckt, was er erbrochen hatte, und sei auch verendet. Eine makabre Geschichte, aber so erzählte man sich.“
Nicht fehlen freilich auch heitere Geschichten – gerne mit Knoblauch - aus dem rituell geführten Haushalt der Mutter! Was man quasi nebenbei über koschere Haushaltsführung erfährt, ersetzt vielleicht nicht, aber ergänzt so manche Sozialgeschichte. Und die Rezepte. Wären sie doch nur genauer! Allein die Borschtsch-Variationen machen neugierig...
Da und dort erinnert Feingolds Erzählweise ein wenig an Vladimir Vertliebs fiktive Biographie der Rosa Masur. Der Vater war beim Eisenbahnbau, wurde Vorarbeiter, Bauassistent und leitete dann seinen eigenen Arbeitstrupp. Ganze Familien lebten im Sommer, wenn gebaut werden konnte, in Baracken am jeweiligen Bauabschnitt. „Und auch in unserer Familie sind jene Kinder, die im Sommer zur Welt kamen, an der Arbeitsstätte des Vaters geboren, und die anderen in Wien.“ So erklärt sich auch der Geburtsort von Marko Feingold: Neusohl in der heutigenSlowakei, „damals Beszterczebánya, Ungarn“. Schon drei Wochen nach seiner Geburt bekam der Vater eine Baustelle in Fiume/Rijeka…. Einen langen Textabschnitt widmet Feingold dem Leben des Vaters. Auch die Nachkriegskindheit in Wien ist ebenso lakonisch wie anschaulich geschildert.
Wieder so eine Geschichte: Sein ältester Bruder Fritz Frimmel, bzw. Nathan Feingold, war Buchprüfer bei einer Firma, die viele Klienten in Langenlois hatte – dort wo schon in der „Verbotszeit“ die vielen noch illegalen Obernazis waren: Einmal wurde „halb Langenlois ausgehoben – auch mein Bruder“, schreibt Feingold. „Der Nachweis, daß er Jude war, nützte ihm gar nichts. Er hat drei Monate ausgefasst, die er in Krems absitzen musste.“ 1939 bekam Marko Feingold noch einmal „Nachricht von Fritz. Später hörte ich nichts mehr von Ihm. Er hat nicht überlebt.“
Die NS-Zeit taucht irgendwie immer beinahe en passent auf, etwa im Kapitel über die verzogene Schwester, das jüngst der insgesamt vier Geschwister: „Noch in Buchenwald bekam ich von meiner Schwester alle paar Monate eine Postkarte.“
Ebenso spannend wie das Kapitel über den Haushalt, ist das Kapitel über „Religion, Tradition, Glaube“. Mehr von der schrägen Seite ist dann wieder das Prater-Kapitel: „Wir Buben schauten zu, wie die Leute tanzten. Aber meist musste man nur eine halbe Stunde warten, bis zur rauften oder einer das Messer zog.“ Irgendwann zeichnet sich Marko Feingolds Lebensinteresse deutlich heraus: „Mode“. Tatsächlich war schon der Bub Feingold der einzige, der des Vaters Hosen bügeln, seine Schuhe putzen durfte. Rauhlederschuhe an den Füßen Eduard des Achten haben ihn fasziniert. Von der Mutter lernte er das Stopfen. Dann ging es als Vertreter nach Italien – und irgendwann wird das Grauen im Untergrund immer präsenter: „Es war helllichter Tag, als wir in Auschwitz ankamen.“ Das erste Quartier Marko Feingolds in Salzburg war ein Mönchsbergstollen.