… erst in Salzburg denunziert…
DOKUMENTATION / STOLPERSTEINE
16/04/13 168 „Stolpersteine“ hat der Kölner Künstler Gunter Demnig bisher in der Stadt Salzburg verlegt: Die „Pflastersteine“ aus Messing erinnern an Opfer des Nationalsozialismus. Am Donnerstag und am Freitag (18. und 19. April) kommen auf Vorschlag des Historikers Gert Kerschbaumer 49 weitere „Stolpersteine“ dazu. Damit umfasst das Erinnerungsprojekt 217 Gedenksteine – darunter für zwei Schauspieler des vormaligen „Stadttheaters“. Die Patenschaft übernahm das Salzburger Landestheater.
Von Gert Kerschbaumer
Siegfried Glasel, geboren am 28. Mai 1890 in Wien, war das einzige Kind des jüdischen Ehepaares Auguste, geborene Kürschner, und Josef Glasel. Siegfried Glasel, der Schauspieler wurde und sich Fritz Glasel nannte, hatte Engagements an Provinzbühnen der österreichisch-ungarischen Monarchie, zum Beispiel in der Spielsaison 1913/14 am Stadttheater in Brüx, damals Böhmen. Etliche Jahre zählte er zum Ensemble am Stadttheater in Salzburg. … Das Stadttheater war schon damals ein Mehrspartenhaus, das Operetten, Singspiele, Schwänke, Possen, Zaubermärchen, Komödien, Tragödien und hin und wieder Opern aufführte. Fritz Glasel hatte zumeist kleinere Rollen … In Arthur Schnitzlers Das weite Land, einst Repertoirestück des Hofburgtheaters, spielte Glasel den Portier Rosenstock (Hugo Thimigs Rolle bei der Uraufführung in Wien).
Seit dem Zerfall der Monarchie Österreich-Ungarn lebte Fritz Glasel vornehmlich bei seiner Lebenspartnerin, einer geschiedenen Frau mit fünf Kindern in Salzburg. Hin und wieder logierte er als lediger Schauspieler im Stadttheater, Makartplatz 2. Das antisemitische Salzburg wusste schon Mitte der 1920er Jahre, dass Fritz Glasel Jude war. Sein Name steht nämlich im „Judenkataster“, in jenem Verzeichnis des auf Boykott und Vertreibung aller Juden zielenden Eisernen Besens, einer rassistischen Zeitschrift, die von der Ortsgruppe Salzburg des 1919 gegründeten österreichischen Antisemitenbundes herausgegeben wurde. Mangels Dokumente lässt sich aber nicht eindeutig klären, aus welchen Gründen Glasel seine Laufbahn als Schauspieler beenden musste. Er war jedenfalls noch als Chorsänger in Salzburg tätig, wie aus dem Melderegister hervorgeht.
Bekannt ist überdies, dass der im Jahr 1933 vom NS-Regime in Deutschland über Österreich verhängte Boykott – 1000-Mark-Sperre – einen starken Besucherschwund im Stadttheater verursachte. Das Haus wurde nach dem gewaltsamen „Anschluss“ an Deutschland im Jahr 1939 in Landestheater umbenannt. Verbürgt ist des Weiteren, dass Siegfried Glasel, mittlerweile arbeitslos, vom 2. August 1938 bis 27. Oktober 1939 in Wien 6, Mollardgasse 25, gemeldet war – mit folgendem Abmelde-Vermerk: „nach Polen“. Sein Schicksal blieb bislang wegen eines Namensfehlers in den Shoah-Datenbanken ungeklärt.
Gewiss ist aber, dass sich der 49-jährige Siegfried Glasel unter den 672 Juden des zweiten Wiener Transportes befand, der am 27. Oktober 1939 nach Nisko in das besetze Polen ging, wo Adolf Eichmanns „Judenreservat“ entstehen sollte. … Das Schicksal seines Vaters konnte mittlerweile ebenfalls geklärt werden: Der 81-jährige Witwer Josef Glasel wurde am 28. Juni 1942 von Wien nach Theresienstadt deportiert und dort am 2. Oktober 1942 ermordet.
Friedrich Josef Tannenberger, geboren am 10. Februar 1897 in Wien, römisch-katholisch getauft, war der jüngere von zwei Söhnen des Ehepaares Georgine, geborene Bannholzer, und Emanuel Tannenberger., Notar in Wien, 4. Bezirk, Heumühlgasse 6. Dort hatte auch ihr jüngerer und zeitlebens lediger Sohn Friedrich Josef seinen Wohnsitz. Er war Maturant, k. u. k. Leutnant mit Kriegsauszeichnungen im Ersten Weltkrieg und studierte danach Schauspiel und Gesang.
Fritz Tannenberger – unter diesem Namen ist er im Deutschen Bühnenjahrbuch zu finden – gastierte in der Spielzeit 1934/35 als Baron Kolomán Zsupán in Emmerich Kálmáns Operette Gräfin Mariza am Stadttheater Salzburg (1939 in Landestheater umbenannt). Er hatte Engagements an österreichischen und ausländischen Bühnen, nach 1933 auch in Deutschland, demnach unter der NS-Herrschaft. Er war auch Mitglied der Fachschaft Bühne in der Reichstheaterkammer mit Zwangsmitgliedschaft – „arische Abstammung“ als Voraussetzung. In dieser Hinsicht hatte der Wiener Fritz Tannenberger anfänglich keine Probleme unter dem NS-Regime – bis zu seinem Engagement als Schauspieler und Sänger am Salzburger Landestheater. Er war seit 12. Dezember 1939 in der „Gauhauptstadt“ Salzburg gemeldet. … Fritz Tannenberger debütierte am Salzburger Landestheater in der Spielzeit 1939/40 als August Fliederbusch in Carl Michael Ziehrers Operette Die Landstreicher (Inszenierung Paul Olmühl) und zählte zum Opern- und Operettenensemble, das der Intendant Dr. Herbert Furreg für die Spielzeit 1940/41 größtenteils neu aufstellte. …
Im März 1940 stellte die Zweigstelle Wien der „Reichsstelle für Sippenforschung“ fest, dass Friedrich Josef Tannenberger jüdische Vorfahren habe (seine Urgroßmutter mütterlicherseits sei Jüdin gewesen). Im Mai 1941 beurteilte außerdem die Gauleitung der NSDAP in Salzburg die politische Gesinnung des Schauspielers aus Wien, der als „Judenstämmling“ und schon deshalb als politisch unzuverlässig galt. Dabei äußerte der beurteilende Gaupersonalamtsleiter einen bösen Verdacht mit einer Formulierung, die auf Verleumdung schließen lässt: „Es fehlen zwar die Beweise, aber man spricht von einer [...]“ – eine zusätzliche Stigmatisierung des Schauspielers mit jüdischer Urgroßmutter, summa summarum: eine verdächtige, missliebige und angefeindete Person.
Fritz Tannenberger blieb dennoch Mitglied des Landestheaters Salzburg. Im Jänner 1942 wurde ihm sogar von der Reichskanzlei in Berlin, vom „Führer“ also, bescheinigt, dass er „deutschblütigen Personen“ gleichgestellt sei. Außerdem war er noch immer Mitglied der Fachschaft Bühne in der Reichstheaterkammer (Deutsches Bühnenjahrbuch 1942).
Jemand musste Fritz Tannenberger verleumdet und denunziert haben. Denn er geriet in die Fänge der Salzburger Gestapo. Aus einer erhaltenen Karteikarte der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass der Schauspieler im Kriegsjahr 1943 wegen „Heimtücke“ angezeigt wurde, und zwar nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei“ aus dem Jahr 1934, mit dem jede kritische Äußerung kriminalisiert werden konnte. Eine strafrechtliche Verfolgung Tannenberger durch das „Sondergericht“ ist jedoch nicht nachzuweisen. Die Anschuldigungen waren vermutlich zu dürftig oder gar haltlos.
Unter dem NS-Regime blieb der stigmatisierte Schauspieler eine verdächtige Person, andernfalls wäre er nicht – vermutlich nach dem Attentat auf den „Führer“ im Juli 1944 – von der Gestapo verhaftet worden, ohne richterlichen Haftbefehl, unter Missachtung aller Verfahrensrechte. Tannenberger ist eines unter jenen unzählbaren Opfern, die mangels polizei-, Justiz- und Opferfürsorgeakten bislang unbekannt blieben, zum kleineren Teil erst nach sieben Jahrzehnten anhand der Polizei-Meldekartei und dank eines Zeitzeugen identifiziert werden können.
Es zeigt sich, dass sich zum national-sozialistischen Terror vom 20. Juli 1944 bis zur Befreiung Salzburgs am 4. Mai 1945 Forschungslücken auftun, die mangels Polizei-, Justiz- und Opferfürsorgeakten schwer zu schließen sind. Glaubhaft ist aber, dass der als Sänger am Landestheater engagierte Fritz Tannenberger seit Juli 1944 im Polizeigefängnis Salzburg inhaftiert war und 47-jährig am 25. Oktober 1944 an den Folgen der Gestapohaft zu Tode kam – offiziell an Diphterie im Landeskrankenhaus, nicht unwahrscheinlich angesichts der Haftbedingungen im Polizeigefängnis.
Fritz Tannenberger wurde auf dem Salzburger Kommunalfriedhof, Gruppe 009, Reihe 03/3/018, bestattet. Das Grab wurde mittlerweile aufgelassen. Bekannt ist außerdem, dass sein Vater 75-jährig im November 1939 und seine Mutter 81-jährig im Februar 1953 in Wien starben, beide bestattet auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Die Stolpersteine für Fritz Glasel und Fritz Tannenberger werden am Donnerstag (18.4.) um 14 Uhr vor dem Landestheater verlegt - Verlegplan und weitere Informationen über das Projekt Stolpersteine - www.stolpersteine-salzburg.at
Der Text über Fritz Tannenberger entstand in Zusammenarbeit von Gert Kerschbaumer mit Thomas Weidenholzer (Archiv der Stadt Salzburg), Oskar Dohle (Salzburger Landesarchiv) und Karl Müller (Germanistik Salzburg).