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Karajans Wegbegleiter für Jahrzehnte

IM PORTRÄT / PETER CSOBADI

16/08/12 Peter Csobadi zelebriert seinen Geburtstag jeweils am 16. August – heute Donnerstag ist es der Neunundachtzigste - in der Weise, dass er die Freunde, die wie er im Zeichen des Löwen geboren sind, um sich versammelt. Bei diesen Gelegenheiten ist es unumgänglich, dass er aufgefordert wird zu erzählen.

Von Werner Thuswaldner

Was dann sein prächtig funktionierendes Gedächtnis zu Tage fördert, sind Blitzlichtaufnahmen aus einem höchst ereignisreichen Leben. Es sind Anekdoten, die, vorgetragen mit einem liebenswürdigen ungarischen Akzent, wirken als wären sie gut erfunden. Jene von dem österreichischen Sektionschef, der für Peter Csobadi, den Ungarnflüchtling von 1956, vor einem leeren Schreibtisch in einem eindrucksvollen Büro aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia sitzend, das Dokument für die österreichische Staatsbürgerschaft unterzeichnete, ist bei seinen Zuhörern besonders beliebt. Darin kommt auf signifikante Weise die jahrhunderte alte historische Verbundenheit zwischen Österreich und Ungarn zur Sprache. Dies ist übrigens einer der Gründe, warum sich Peter Csobadi in Salzburg, wo er seit Jahrzehnten lebt, längst nicht vorkommt wie im Ausland.

Doch Peter Csobadis Potential geht weit über das eines Anekdotenerzählers hinaus. Deshalb drängten ihn seine Freunde, ausführlicher aus seinem Leben zu berichten.  Es stand und steht im Zeichen der Musik. Nach den Planungen seiner Eltern – ein angesehener Advokat sein Vater, eine Pianistin, die Bela Bartok als Lehrer hatte, seine Mutter – war für ihn eine ruhige, ausgeglichene Zukunft vorgesehen. Er sollte Rechtsanwalt wie sein Vater und wie seine Brüder werden. Aber es kam ganz anders. Von Ruhe und Ausgeglichenheit kaum eine Spur.

Im Jahr 1968, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs in Moskau von zwei Agenten in langen Mänteln abgeholt zu werden, das war nur eine von vielen dramatischen Erfahrungen Peter Csobadis. Denn diese Maßnahme hätte damals lebenslängliches Arbeitslager in Sibirien, wenn nicht Schlimmeres bedeuten können. Vielleicht war es der Autorität Herbert von Karajan zu danken, dass Csobadi nach einer Befragung unversehrt ins Hotel zurück gebracht wurde. Karajan befand sich damals mit den Berliner Philharmonikern auf Gastspielreise durch die Sowjetunion. Csobadi gehörte zu seiner Begleitung. Ein anderer existenzbedrohender Vorfall ereignete sich 1944 im von der deutschen Wehrmacht besetzten Budapest, als Csobadi nur knapp seiner Hinrichtung entging.

Wo immer man Csobadi nach biografischen Details fragt, kommen höchst bemerkenswerte Geschichten an den Tag. Geprägt ist diese Biografie von den zeitgeschichtlichen Turbulenzen des vorigen Jahrhunderts einerseits und von der 32-jährigen Tätigkeit an der Seite Herbert von Karajan als dessen Pressechef. Der Kontakt zu den Medien, von denen nicht alle Karajan zu jeder Zeit wohl gesonnen waren, war aber bei weitem nicht die einzige Aufgabe Csobadis. Er wurde mit vielerlei heiklen Missionen betraut, die er mit diplomatischem Feingefühl und Geschick meisterte. Karajan fragte ihn nach seiner Meinung. Csobadi antwortete mit aller Loyalität, scheute sich aber auch nicht, wenn nötig, Kritik zu üben.

„Diplomatie“ ist ein gutes Stichwort. Denn Csobadis Ausbildung und Berufsweg wiesen zunächst ganz in diese Richtung. Er war im ungarischen Außenministerium als Ministerialsekretär und als Botschaftssekretär tätig und diente als Kurier zu den Botschaften im Ausland. Ein denkwürdiges Erlebnis hatte er, als er in Moskau im Vorzimmer Jozef Stalins saß und aus unmittelbarer Nähe die Aktivität des undurchschaubaren Staatsapparats beobachten konnte. Ungarn erlebte damals, in den ersten Nachkriegsjahren, den allmählichen Übergang zu einer kommunistischen, moskautreuen Regierung. Als die Machtübernahme abgeschlossen war, verlor Csobadi seinen Posten. Er hatte Glück und konnte bei Radio Budapest arbeiten und anschließend bei der angesehenen Zeitung „Mayar Nemzet“, die als liberales Blatt von den Machthabern noch einigermaßen geduldet wurde. Sein Arbeitsfeld war die Politik, aber mehr und mehr wurde die Kultur im Allgemeinen und die Musik im Besonderen zu seinem Gebiet.

Der Volksaufstand von 1956 änderte alles. Csobadi gehörte nach der Niederschlagung des Aufstands durch sowjetische Panzer zu den über 160.000 Flüchtlingen, die teils auf abenteuerlichem Weg die Grenze zu Österreich überquerten. An die generöse Aufnahme und die Hilfe durch österreichische und ausländische Institutionen damals erinnert er sich bis heute mit Dankbarkeit. Csobadi blieb nicht lange untätig. Er gründete, gemeinsam mit anderen, das Orchester „Philharmonia Hungarica“ und wurde dessen Direktor. Am „Casting“, wie man heute sagen würde, der vielen ungarischen Musiker, die – manche mit ihren Instrumenten - nach Österreich geflüchtet waren, wirkten die obersten Repräsentanten des Wiener Musiklebens, auch Herbert von Karajan, mit.

Die nächste berufliche Station war der renommierte Wiener Musikverlag Doblinger.

Von dort engagierte ihn von jetzt auf gleich der berühmte Dirigent und Generalmusikdirektor Ferenc Fricsay weg und holte ihn als seinen Sekretär nach Berlin. Es wurde, wie Csobadi versichert, eine intensive, wenn auch kurze Zusammenarbeit. Fricsay dirigierte noch die Eröffnungspremiere der neuen Deutschen Oper Berlin, Mozarts „Don Giovanni“, erlag aber bald darauf 48jährig einem Krebsleiden. Zuvor hatte er noch Csobadis Weg zum Sender Freies Berlin geebnet. Dort schlug Csobadi eine Sendereihe mit Künstlergesprächen vor, äußerte aber Bedenken wegen seiner nicht zu überhörenden ungarischen Sprachfärbung. Das ist übrigens eine der Anekdote, die Csobadi gerne zum Besten gibt. Der Sendeverantwortliche hatte die Skrupel nämlich mit einem bemerkenswerten Satz beiseite gewischt: „Ach, det biscken süddeutscher Akzent wird der Sache nicht schaden.“

Die sonntägliche Sendereihe „Das musikalische Gästebuch“ wurde ein anhaltender, großer Erfolg. Csobadi führte in acht Jahren rund 400 Interviews mit allen, die in der Musikwelt Rang und Namen hatten. Unter ihnen waren die Dirigenten Karl Böhm und Herbert von Karajan, die Sänger Elisabeth Schwarzkopf und Wolfgang Windgassen, die Komponisten Igor Strawinsky, Karlheinz Stockhausen, Hans Werner Henze und der Geiger Yehudi Menuhim. Mit Letzterem verband Csobadi eine innige Freundschaft. Beider Wege kreuzten sich immer wieder im Zuge der Arbeit an großen musikalischen Projekten.

Der Sender Freies Berlin hatte häufig mit dem Dirigenten Ferenc Fricsay zusammengearbeitet. Gesprächskonzerte mit Fricsay wurden regelmäßig in dem damals noch jungen Medium Fernsehen übertragen. Csobadi schlug dem Sender vor, das dafür vorgesehene Budget weiterhin zu nützen und die Sendereihe mit Karajan fortzusetzen. Dies wurde für unmöglich gehalten, weil Karajan für seine ablehnende Haltung gegenüber dem Fernsehen bekannt war. Doch Csobadi machte einen Versuch und Karajan willigte ein. Karajan wollte dafür nicht sein Orchester, die Berliner Philharmoniker, aufbieten, Csobadi musste ihm aus in Berlin lebenden Musikern ein eigenes Orchester zusammenstellen. Als großer Orchestererzieher formte Karajan aus den Musikern, die noch nie gemeinsam gespielt hatten, binnen kurzem einen akzeptablen Klangkörper. Das Experiment endete damit, dass Karajan an den Fernsehaufnahmen – aufgeführt wurde „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss - Gefallen fand und von da an ein inniges Verhältnis zu diesem Medium entwickelte.

Neben seiner Arbeit beim Sender nahm Csobadi auch noch die Funktion des Pressechefs der Berliner Festwochen an. Auch in dieser Funktion hatte er immer wieder mit Karajan zu tun. Eine denkwürdige Pressekonferenz fand vor Beginn der Berliner Festwochen 1966 statt. Zur großen Überraschung der anwesenden Medienvertreter sprach Karajan nicht über die bevorstehenden Festwochen, sondern über ein Festival, das er auf einer ganz neuen Basis in Salzburg gründen werde. Er werde dort nicht nur als künstlerisch Verantwortlicher fungieren, sondern auch für das Budget verantwortlich sein, das ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand auskommen werde. Am Tag darauf berief er Peter Csobadi als Pressechef für die neuen Salzburger Osterfestspiele. Auf Karajans Frage, ob er annehmen würde, antwortete Csobadi: „Mit tausend Freuden.“ Die Osterfestspiele wurden 1967 mit Wagners „Walküre“ eröffnet.

Es folgten ereignisreiche Jahre. Begegnungen mit bedeutenden Künstlern und viele Reisen, etwa nach New York, wo Karajans Inszenierungen für Salzburg an der Metropolitan Opera ebenfalls aufgeführt werden sollte. Es war dies allerdings ein Projekt, das über viel versprechende Anfänge nicht hinauskam.

In späteren Jahren kam es zu den tragischen Spannungen zwischen Karajans Orchester, den Berliner Philharmonikern, und ihrem Chefdirigenten auf Lebenszeiten. Csobadi erlebte aus nächster Nähe, wie tief Karajan von dem Konflikt betroffen war. Csobadi, der Karajans Fürsorge für die einzelnen Musiker, selbst wenn es sich um private Belange handelte, herausstreicht, bedauert das Zerwürfnis, das bis zuletzt nicht aus der Welt geschafft wurde, aufs Äußerste.

Peter Csobadi blieb bis zum Schluss an Karajans Seite und nahm seine Aufgaben als Pressechef auch nach dem Tod des Dirigenten, im Sommer 1989, unter den Nachfolgern, Sir Georg Solti und Claudio Abbado, bis 1995 war. Zu Solti entwickelte sich eine innige Freundschaft. Nach seinem Abschied von den Osterfestspielen eröffneten sich für Csobadi neue Betätigungsfelder. Sie brachten neue Begegnungen und neue Herausforderungen.

Wie gründlich Peter Csobadi Karajan gekannt hat und wie treffend er dessen musikalisches Wirken zu charakterisieren verstand, beweist in aller Knappheit der Titel einer kritischen Hommage von Zeitzeugen, die er 1988 herausgegeben hat: „Karajan oder Die kontrollierte Ekstase“.

 

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