Der Lied-Deklamator schlechthin
ZUM TOD VON DIETRICH FISCHER-DIESKAU
18/05/12 Die schwarze Fahne, die derzeit vom Festspielhaus weht, gilt einem der großen Liedsänger des 20. Jahrhunderts: Dietrich Fischer-Dieskau ist am Freitag (18.5.) im bayerischen Berg bei Starnberg verstorben, kurz vor seinem 87. Geburtstag.
Für Statistiker: 123 Mal ist Dietrich Fischer-Dieskau bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. 67 Mal in der Oper, 50 Mal in Konzerten, drei Mal als Dirigent und ebenso oft als Sprecher. 1951 debütierte der Sänger hier unter Wilhelm Furtwängler mit Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Dieser schwärmte über Dietrich Fischer-Dieskau: „Dass ein so junger Mensch schon so genau weiß, wie das gesungen werden muss!“ Und als er 1956 den Grafen Almaviva unter Karl Böhm im legendären Salzburger Mozart-Ensemble gab, schrieb die Süddeutsche Zeitung „Salzburg hat eine Attraktion mehr.“ Zwei Jahre zuvor war Fischer-Dieskau das erste Mal in Bayreuth auf der Bühne gestanden.
Als Sänger hat man ihn 1992 das letzte Mal hier gehört – in drei Liederabenden, also auf seinem ureigensten Terrain: Damals hat er Schuberts „Schöne Müllerin“ gesungen sowie je ein Programm mit Werken von Schumann und Hugo Wolf. Bemerkenswert aber auch seine spätere Mitwirkung als Rezitator. Er gestaltete beispielsweise mit dem Stadler Quartett Arnold Schönbergs „Ode an Napoleon Buonaparte“ und Viktor Ullmanns „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ (2004). 2005 haben ihn die Festspiele aus Anlass seines 80. Geburtstages als Sprecher für Schumanns „Manfred“ eingeladen. Fischer-Dieskaus letzter Festspielauftritt war 2006 als Dirigent in einer Mozart-Matinee.
„Besonders wichtig war er aber für uns auch bei der Durchsetzung der zeitgenössischen Musik“, so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler in einem Nachruf. So sang Fischer-Dieskau 1985 in der Felsenreitschule die Titelrolle in Olivier Messiaens Saint François d’Assise. „Es war die erste Aufführung nach der Pariser Uraufführung, zwar konzertant und auf die vier wichtigsten Stationen aus dem Leben des Heiligen beschränkt, aber der Eindruck blieb haften für Jahre“, erinnert sich Helga Rabl-Stadler. Auf der Opernbühne hat man ihn hierorts vor allem als Mitglied des legendären Mozartens-Embles erlebt, zuletzt 1973 in "Cosi fan tutte" mit Gundula Janowitz, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier und Hermann Prey unter der Leitung von Karl Böhm.
Nach dem Studium an der Berliner Musikhochschule begann Fischer-Dieskau seine Karriere 1947. Sein Repertoire umfasste etwa dreitausend Lieder von rund hundert Komponisten. Neun Mal hat Fischer-Dieskau Schuberts „Winterreise“ auf Schallplatte und CD aufgenommen, das erste Mal 1948. Diesen Zyklus bezeichnete er in einem Interview als seine größte Herausforderung und "das Beste, was einem als Bariton passieren kann". Den von ihm herausgegebenen Band „Texte deutscher Lieder“ hat wohl jeder einschlägig interessierte Musikfreund im Buchregal, vielleicht auch sein Buch „Auf den Spuren der Schubert-Lieder“ (1971). Mit dem legendären Liedbegleiter Gerald Moore nahm Fischer-Dieskau in den siebziger Jahren sämtliche Lieder von Schubert auf.
Zu den Höhepunkten seiner Laufbahn gehörte die Teilnahme an der Uraufführung von Benjamin Brittens "War Requiem" bei der Einweihung der neuen Kathedrale im britischen Coventry im Jahr 1962. Hans Werner Henze schrieb für Fischer-Dieskau die Hauptrolle in "Elegie für junge Liebende". Der Sänger nahm sich Gottfried von Einems "Dantons Tod" an, er sang die Baritonrollen in Hindemiths "Mathis der Maler", Busonis "Doktor Faust" und Bergs "Wozzeck". 1978 übernahm er die Titelrolle in der Uraufführung von Aribert Reimans "Lear". Als Lehrer prägte er mehrere Generationen von Sängern, etwa Thomas Quasthoff oder den österreichischen Bariton Christian Gerhaher. (PSF/dpk-krie)