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Lachenmann. Wie Schubert. Nur modern.

IM PORTRÄT / HELMUT LACHENMANN

03/11/22 In Salzburg war schon mal mehr Lachenmann zu hören. Fast regelmäßig bei den Festspielen 1993 bis 2006, bei der längst vergangenen Biennale, punktuell bei der Mozartwoche und natürlich immer wieder bei den Aspekten. Von 4. bis 6. November wird, nach zwei Jahren Corona-Absagen, der 85. Geburtstag des großen Komponisten „nach gefeiert“. Der Geehrte wird da sein.

Von Heidemarie Klabacher

Unvergessen die Erst-Begegungen mit den Stücken TemA oder Pression. Da werden Geräusche, die jedes Instrument beim Gespielt-Werden oder die Stimme beim Atmen macht, zu Musik. Das waren musikalische Ur-Erlebnisse, schlagartige Erweiterungen all dessen, was man für „Musik“ zu halten bereit war. Keinem anderen Komponisten verdankt die Schreiberin dieser Zeilen eine größere Horzionterweiterung. Ganz zu schweigen von unvergesslichen Klang-Ereignissen und Musik-Erlebnissen. Zwei vergleichsweise „kleine“ Werke. Zwei Meilensteine.

Pression für Violoncello aus 1969/2010 und TemA für Flöte, Mezzosopran und Violoncello aus 1968 stehen auch auf dem Programm der Helmut Lachenmann Tage von 4. bis 6. November an der Universität Mozarteum. Studierende und Alumni, sowie das œnm - œsterreichisches ensemble für neue musik spielen. Der Komponist hält Seminare, stellt sich dem Gespräch.

Einfach und anschaulich beschreibt Lachenmann selber, in einem Text aus 1972 abgedruckt im aktuellen Programmheft, das Cello-Stück Pression: „Abgewandelt und komponiert werden hier Druckverhältnisse bei Klang-Aktionen am Cello. Der reine, 'schöne volle' Celloton ist darin also nur ein Sonderfall unter verschiedenen Möglichkeiten des Bogendrucks, der Bogenhaltung, der Bogenführung … Wobei alle diese Gegebenheiten, die hier zusammenwirken, einzeln für sich abgewandelt werden können.“ Das möge ein „bloßes Spiel sein“, so der Komponist. „Es ist auf jeden Fall ein Angebot an den Hörer, zu hören: anders zu hören und seine Hörgewohnheiten und die dahinter verborgenen ästhetischen Tabus anhand einer charakteristischen Provokation bewußt zu machen und zu überprüfen.“

Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, mit unzähligen Preisen (herausgegriffen seien nur der Ernst von Siemens Musikpreis 1997 und der Hans Christian Andersen Preis 2016 für seine Oper Das Mädchen mit den Schwefelhölzern) und Würden ausgezeichnet, zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Komponisten der Gegenwart. War Professor für Komposition an den Musikhochschulen von 1976 bis 1981 in Hannover und 1981 bis 1999 in Stuttgart. Lehrender in Harvard ebenso wie wie bei den Darmstädter Ferienkursen. Ist Fellow etwa der Royal Academy of Music, Commandeur des Arts et des Lettres. Und eben Komponist von Gnaden.

„Lachenmann experimentiert mit dem Klangspektrum des Klaviers, mit sich auftürmenden Obertönen, Tönen, die nicht angeschlagen, sondern aus dem Zusammentreffen anderer Klänge quasi im Nichts gezeugt werden. Gebannt lauschte man dem brillanten Pianisten Nikolas Hodges, der die scheinbar abstrakten Klangstudien als das zu offenbaren wusste, was sie sind: packende Musik von größter Klangsinnlichkeit und geradzu hympnotischer Wirkung. Wie Schubert, nur halt modern.“ Das schrieb DrehPunktKultur anno 2013. Damals gab es ein Festival namens Biennale, damals stand etwa die Serynade. Musik für Klavier auf dem Programm.

Das waren überhaupt Lachenmann-Jahre in Salzburg. Bei der Mozartwoche 2012 gab's ein Porträtkonzert von Lachenmanns „Schüler“ – er ist Jahrgang 1964 – Marc Andre. Von diesem erklingen bei den aktuellen Helmut Lachenmann Tagen am MozarteumDrei Stücke für Ensemble. Wie klingt nun die Musik von Marc Andre?“, fragte damals DrehPunktKultur: „Genau betrachtet, kommt wenig vor, was nicht spätestens seit Helmut Lachenmann gängig ist: Luftgeräusche der Blasinstrumente … bei den Streichern sind es tonlos gestrichene Saiten bzw. Striche auf dem Steg oder seitlich am Steg (dieses vor allem beim Kontrabass), Striche mit unterschiedlich starkem Druck auf die Saiten, bis hin zum gepressten Knarren … All das kennt man. Dennoch eignet den Stücken von Marc Andre, der tatsächlich von seinem Lehrer Helmut Lachenmann maßgeblich beeinflusst wurde, eine ganz eigene Qualität: Mit kleinsten musikalischen Gesten, Geräuschen, Tönen werden Klangräume geöffnet. Selbst in den allerleisesten Passagen öffnen sich immer neue Töne und Klänge - bzw. Geräusche. Der Übergang vom Geräusch zum Ton interessiert den Komponisten. Und es gelingt ihm, seine Zuhörer ebenfalls dafür zu interessieren - bis kurz vor dem endgültigen Verschwinden des Klanges sich reine Quinten und Obertonwirkungen zu schillernden Klangspektren auffächern. Dazwischen: Räume der Stille. Spannend.“ Bei dem Lehrer...

Seinen 85. Geburtstag hat Helmut Lachenmann bereits 2020 gefeiert. Wegen Corona wurden die Festtage bislang verschoben. Am Freitag (4.11.) und am Samstag (5.11.) hält Lachenmann Seminare am Mozarteum: Der erste Nachmittag gilt der „Analyse von Anton Weberns Bagatellen op. 9 und Luigi Nonos Il canto sospeso, der zweite der „Stellung des Komponisten in der heutigen Gesellschaft“. Am Samstag um 17 Uhr folgt im Solitär eine öffentliche Probe.

Am Sonntag (6.11.) gibt es zwei Konzerte und ein Podiumsgespräch: Um 15 Uhr im Solitär spielen Studierende und Alumni des Mozartums und das œnm Trio Fluido, TemA, Intérieur III (Dal niente), Pression und Marche fatale. Um 17 Uhr gibt es ein Podiumsgespräch mit dem Komponisten. Um 18 Uhr folgt das Abschlusskonzert mit dem œnm - œsterreichisches ensemble für neue musik. Hier stehen auch Werke von Lachenmannss Schüler Mark Andre und von Luigi Nono auf dem Programm. Es erklingen Luigi Nono, Polifonica – Monodia – Ritmica. Lachenmann, Mouvement (vor der Erstarrung). Mark Andre, Drei Stücke für Ensemble. Lachenmann Intérieur I und Fünf Variationen über ein Thema von Schubert. Der Komponist tritt als Sprecher auf, Dirigent ist Gregor Mayrhofer.

Helmut Lachenmann Tage  www.uni-mozarteum.at  hier das Programmheft zum Download  www.uni-mozarteum.at
Bei Wien Modern 2022 gab und gibt es übrigens einiges von Lachenmann www.wienmodern.at
Bilder: Lebrecht Music and Arts Photo Library; www.breitkopf.com / Astrid Karger Saarbrücken

 

 

 

 

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