Vom Stamm der Göttlichen
AUSZEICHNUNG / EDITH CLEVER
22/08/21 Am Ende dieses Sommers werden es 121 Festspiel-Auftritte gewesen sein. Edith Clever wurde nach der Jedermann-Aufführung am Samstag (21.8.) mit der Festspielnadel mit Rubin ausgezeichnet. Rein statistisch spielt der Jedermann in Edith Clevers Festspiel-Statistik die größte Rolle.
Die Festspielpräsidentin zitierte Botho Strauss, in dessen Stücken Edith Clever oft eine prägende Rolle gespielt hat (frdeilich nicht bei den Festspielen): „Gäbe es eine Sammlung von Exempeln großer Schauspielkunst, kein Wachsfigurenkabinett, sondern eine virtuelle Szenerie, theatre's memory, die Clever fände man dort neben der Duse und Sarah Bernhardt – in neuerer Zeit: der Giehse, der Wessely – lauter Protagonistinnen, bei denen man sich den Vornamen erspart, um sie zum Begriff zu machen und von den gewöhnlichen Talenten zu unterscheiden. Es gibt unzählige gute, sehr gute Schauspieler – aber die vom Stamm der ‚Göttlichen‘, die ganz Außergewöhnlichen sind nur sehr wenige. Wie soll man sie nennen, ohne sich zu übernehmen? Heute heißt es Star, früher war es die Vedette, die Primadonna, die Diva … aber bleiben wir einfach bei der Außergewöhnlichen.“
Ersparen wir uns also, mit Erlaubnis von Botho Strauss, den Vornahem und sagen wir: die Clever. Wenn sie spielt, dann „ wird daraus stets ein Fest“, so Helga Rabl-Stadler.
In Salzburg debütiert hat die Clever 1994 als Cleopatra in Antonius und Cleopatra in der Inszenierung von Peter Stein, der mit diesem Stück seine Shakespearsche Römertragödien-Trilogie beendet hat. Im selben Jahr übernahm sie Rezitatorin in mehreren Aufführungen von Strawinskijs Oedipus Rex in einer Bühnenkonzeption von Peter Sellars. 1996 war sie die Titania in einer Aufführung von Carl Maria von Webers Oberon. Im Jahr darauf spielte sie in der regie von Robert Wilson in Büchners Dantons Tod. Dann war allerdings zwanzig Jahre Festspiel-Pause, bis 2017.
Bei 54 ihrer bisher 119 Festspielauftritten war die Schauspielerin Teil des Jedermann-Ensembles, in dem sie von 2017 bis 2020 in der Inszenierung von Michael Sturminger Jedermanns Mutter (im Bild oben) verkörperte. Heuer überzeugt sie als Tod Jens Harzer vom nahen Ende seiner irdischen Existenz.
Sie sie „als Tod sowieso eine Größe für sich“ hieß es in der aktuellen DrehPunktKultur-Kritik über sie. „Sie nimmt selbstbewusst neben Jedermann an jäh menschenleerer Tafel der Tischgesellschaft Platz, argumentiert gefährlich leise. Wenn sie an die Stirnseite dieser Tafel wechselt, sind die Machtverhältnisse ohnedies klar.“
„Ich bin sehr froh, dass ich Edith Clever nach langer Absenz wieder für die Salzburger Festspiele und insbesondere den Jedermann begeistern konnte“, so Bettina Hering, Leiterin des Schauspiels. „Edith Clever setzt künstlerische Maßstäbe und ist mit ihrer einzigartigen Sprachgestaltung und Durchdringung der Texte für sämtliche Generationen zu einer Ikone geworden. Diese zugleich feinnervige und hochpräzise Ausnahmeschauspielerin bei der Ausübung ihres Berufes beobachten und begleiten zu können, ist eine unglaubliche persönliche Bereicherung sowie ein Glücksfall für das Publikum der Salzburger Festspiele.“
Die jetzt Achtzigjährige war von 1971 bis 1989 Mitglied der Berliner Schaubühne, wo sie sich in der Zusammenarbeit mit Klaus Michael Grüber und Luc Bondy, vor allem aber mit Peter Stein profilierte. Als Filmschauspielerin konnte Clever erstmals 1976 durch ihre Titelrolle in der Literaturverfilmung Die Marquise von O. von Eric Rohmer, wofür sie mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet wurde. Ihre Mitwirkung in Hans-Jürgen Syberbergs ästhetisch radikaler Parsifal-Verfilmung (1982) führte zu einer intensiven künstlerischen Verbindung mit diesem Regisseur. Die Resultate dieser Arbeit stellten an die Rezeptionsbereitschaft des Publikums hohe Anforderungen – etwa der zweiteilige Film Die Nacht (1985) mit einem sechsstündigen Monolog der Clever.
Immer wieder Ausnahmeprojekte: 1987 beeindruckte sie das Pariser Publikum fünf Stunden lang mit Kleists Penthesilea. Da hat sie alle Rollen übernommen. Ebenfalls 1987 liest sie unter der Regie Syberbergs (in ihrer Berliner Wohnung, vor deren Fenstern S-Bahn und Fernzüge vorbeifahren) den Monolog der Molly Bloom aus James Joyces Ulysses. Neben der literarischen Hymne auf das Leben und die Endlichkeit stellt der Film den Versuch dar, auszuloten, inwieweit die Umgebung und die Zuhörerschaft einen Text und seinen Vortrag beeinflussen. Gelegentlich hat Edith Clever auch selbst Regie geführt.
Nun also die Festspielnadel in Rubin für Edith Clever. Diese Ehre wurde bisher Christa Ludwig, Christian Stückl, Jürgen Flimm, Riccardo Muti, Mariss Jansons, Anne-Sophie Mutter, Daniel Barenboim, Franz Welser-Möst und Tobias Moretti zuteil. (PSF/dpk-krie)