Ein Meister des Sänger-Begleitens
TODESFALL / JAMES LEVINE
18/03/21 Es passte zum stillen Karriere-Ende des Dirigenten James Levine, dass der Tod des 77jährigen erst mit über einwöchiger Verspätung publik wurde. Er war einer der Prominentesten, über den die #MeToo-Welle schwappte.
Von Reinhard Kriechbaum
Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, dass James Levine das letzte Mal bei den Festspielen aufgetreten war. Tatsächlich, fast zwei Jahrzehnte! 2002 war er mit dem Orchester der Metropolitan Opera Orchestra hier, eines der beiden Konzerte damals war eine Wagner-Gala. Debütiert hatte er in Salzburg 1975 mit dem London Symphony Orchestra. Damals war er schon Chefdirigent an der Met, wo er alsbald, 1976, zum Musikdirektor auf Lebenszeit gekürt wurde. Der Job dort dauerte dann doch nicht bis ans Lebensende: Schon schwer an Parkinson erkrankt und an den Rollstuhl gefesselt, trat Levine zurück, wurde zum Ehrendirigenten ernannt. Und dieser Titel wurde ihm aberkannt, nachdem Levine ins Kreuzfeuer von #MeToo gekommen war.
Gut vier Jahrzehnte lang aber hat Levine das Geschehen an der Met nachhaltigst bestimmt, 2500 Vorstellungen von 85 Opern geleitet. Mit Tosca hatte der 1943 in Cincinnati geborene Musiker 1971 an der Met debütiert. Eigentlich ganz schwer vorstellbar: Es war Levine, der an der Met die ersten Vorstellungen überhaupt von Mozarts Idomeneo and La Clemenza di Tito dirigierte. Aber sogar Gershwin’s Porgy and Bess hat erst er ins Repertoire der Met geholt, so wie Strawinskys Oedipus Rex, Schönbergs Moses und Aron und Lulu von Alban Berg.
James Levine und die Salzburger Festspiele: Da ist sein Name untrennbar mit Jean-Pierre Ponnelle und dessen Inszenierung der Zauberflöte in der Felsenreitschule verknüpft. Von 1978 bis 1986 stand Levine bei dieser legendären Aufführungsserie am Pult. Seine erste Festspiel-Oper war aber Mozarts La Clemenza di Tito. Er dirigierte auch den Figaro und Moses und Aaron. Rechnet man das Mozart-Requiem im Dom (bei der Trauerfeier für Karl Böhm) mit, stand er in sechzehn Konzerten vor den Wiener Philharmonikern. Einmal hat Levine sogar Mozarts c-Moll-Messe in St. Peter dirigiert (da spielte das Mozarteumorchester). Als Pianist begleitete er mehrmals Kathleen Battle und Jessye Norman, aber er gestaltete auch mit Christa Ludwig Schuberts Winterreise.
In diesen Sommern war James Levine viel unterwegs, man sah ihn mit dem obligaten Handtuch über der Schulter ja zwischen 1982 und 1998 auch ebenso oft in Bayreuth – der Spätromantik-Spezialist Levine wusste Wagners Partituren mystische Sinnlichkeit einzuhauchen. Und in den USA leitete er lange Zeit das Ravinia-Open-Air-Festival. Da war das Chicago Symphony Orchestra das „Hausorchester“. In diesem Zusammenhang sei auch an den Zeichentrickfilm Fantasia 2000 erinnert, zu dem Levine und das Chicago Symphony Orchestra die üppige Klassik-Tonkulisse beisteuerten. Levine und Mickey Mouse? Das gab's also genau so wie Levine und die Drei Tenöre, mit denen er auf Welttournee ging.
Es war ein heftig umstrittener Paradigmenwechsel, als Levine als Nachfolger des sich dem Klassik-Markt verweigernden Sergiu Celibidache 1999 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wurde. Schon damals kursierten Gerüchte, Levine habe ein Faible für jüngere, sogar sehr junge Männer, und die Grüne Fraktion im Münchner Stadtrat forderte, vor Levines Bestellung ein polizeiliches Führungszeugnis einzuholen. Das zeitigte damals (noch) keine Folgen.
Freilich: Die musikalische Arbeit Levines war lauter. Mit Sängern wusste er umzugehen wie heutzutage kaum jemand in seiner Zunft. Und er hatte einen ganz weiten musikalischen Horizont, nicht nur was die Musik des 19. Jahrhunderts, sondern auch was die zeitgenössische Musik anlangte. Die Liste seiner Lehrer an der Juillard School liest sich wie das Who is Who der Nachkriegsjahre. Ab dem zehnten Lebensjahr wurde er von Walter Levin, dem Primarius des LaSalle String Quartets, in Musiktheorie, Harmonielehre, Kontrapunkt, Partiturstudium und Kammermusik ausgebildet. Jenő Takács und Rudolf Serkin bildeten ihn als Pianisten aus.
Krankheit und #MeToo beendeten schließlich die glanzvolle Karriere. James Levine ist am 9. März in Palm Springs gestorben.