Stilfragen sind Sinnfragen
IM PORTRÄT / PETER CORETH
16/06/10 „Ist ein 28-Seelen-Dorf in der fast menschenleeren Landschaft des nördlichen Waldviertels ein geeigneter Standort für ein anthropologisches Museum?“ Diese Frage wurde dem Journalisten, Politologen, Publizisten und Kulturwissenschafter Peter Coreth nicht ganz zu Unrecht gestellt. Und man riet ihm, dort eher ein Wirtshaus zu eröffnen. In Salzburg eröffnet Coreth die Gemeinschaftsausstellung „KunstWerk“ der Kunststudenten des Mozarteums.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Waldviertel ist es dann doch kein Wirtshaus geworden. Die Grenzlage hat sich sogar als vorteilhaft erwiesen: „Es entstand eine Kulturbrücke“, sagt Coreth rückblickend. „Wo politischer und historischer Konfliktstoff die neue Nachbarschaft von Tschechen und Österreichern immer wieder trübt, kann die universelle Sprache der Kunst auf einer höheren Bedeutungsebene vermitteln.“
Es ist außergewöhnliches Museum in dem alten Gutshof, in dem Kaiserin Maria Theresia übernachtet haben soll. Aus den ehemaligen Stallungen wurde eine geräumige Säulenhalle. Dort ist die anthropologische Sammlung von Peter Coreth mit über 1400 Exponate untergebracht. Die im „Museum Humanum“ ausgestellten Kleinplastiken, Kultgegenstände, Insignien, Amulette, Werkzeuge erzählen aus 30.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Sie stammen aus allen Kontinenten und stehen für ganz unterschiedliche Kulturkreise. Die Jetztzeit wird nicht ausgeklammert.
In den meisten Museen werden solche Dinge nach Herkunft fein säuberlich geordnet und getrennt präsentiert. Genau das will Peter Coreth nicht. Ihm geht es um Themengruppen. So sollen übergreifende Entwicklungslinien kenntlich werden. Und vor allem Eines soll vermittelt werden: „Religiöse Grundfragen, das Forschen nach dem Woher, Wohin und dem Warum des Lebens, haben überhaupt nichts mit Staatsgrenzen zu tun.“
Masken aus Afrika, Schamanengewänder aus Asien, Buddha-Statuen und Steinzeit-Relikte thematisieren Mythen und Religionen der Menschen rund um den Erdball. „Ein modernes Museum sollte eine offene Werkstatt sein, wo die Leute nicht belehrt werden, sondern wo sie die Zusammenhänge selbst entdecken können.“
Vor den prähistorischen Statuetten, den in Stein geritzten Kultursymbolen stellen sich entscheidende Fragen: Warum wird ein Kultbild plötzlich zum Andachtsbild oder ein Götterbild zum Menschenbild? Wo liegen die inneren Gründe für solche Transformationen? Es zeigt sich: Alle Kulturen stellen ähnliche Fragen zum Göttlichen, zum Tod, zur Natur. „Stilfragen sind eben auch Sinnfragen, die uns etwas angehen“, sagt der leidenschaftliche Sammler. “Wer nach Fratres fährt, sollte nicht nur den Reisepass bereithalten, sondern auch auf Grenzerfahrungen durch Kunst gefasst sein.“
Der Besucher der Säulenhalle erlebt und begreift also Regelmäßigkeiten künstlerischer Entfaltung: von der magischen Vorstellungswelt der Steinzeitjäger und Naturvölker, über die von Mythen und Religionen geprägten Kulturphasen, bis zur Kunst des rationalistischen Zeitalters. Die spannungsreiche Gegenüberstellung will das Interesse für das Fremde, Andersartige wecken und den Blick auf das Gemeinsame, Verbindende lenken. „Ein spartenübergreifendes Experiment, das einen Kontrapunkt zu den zahllosen Spektakeln des Zeitgeistes setzt.“
Und weiter sagt der Sammler: „Die Grenznähe ist eine Metapher für das Anliegen eines solchen Museums.“ Der Weiler Fratres liegt auf einem Höhenzug zwischen der Thaya und südböhmischen Waldteichen. Zum Grenzübergang sind es nur ein paarhundert Meter. Schnitzereien aus Jade und Menschenknochen, Amulette, Schamanenschürzen, byzantinische Christusdarstellungen oder katholische Madonnenbilder – alles dient also dem besseren Verstehen von kulturellen Gemeinsamkeiten, soll über Kontinente und Zivilisationen hinweg die parallele Entwicklung künstlerischen Schaffens von der Naturbeschwörung, über die Gottesdarstellung hin zum menschenzentrierten Weltbild zeigen. Ein „anthropologisches Capriccio“ nennt Peter Coreth sein Konzept für „Museum Humanum“.
Peter Coreth wurde 1948 in Linz geboren. Er studierte Politikwissenschaften in Salzburg und Nairobi. Von 1971 bis 1975 war er Außenpolitik-Redakteur bei den „Salzburger Nachrichten“, danach freier Publizist. Es folgten Wanderjahre durch Europa und der Aufbau einer mythologischen Studiensammlung. 1992 kaufte er den Gutshofes in Fratres im nördlichen Waldviertel. 1995 gründete Peter Coreth die österreichisch-tschechische „Kulturbrücke“, die 2004 den Würdigungspreis der Republik Österreich erhielt und 2006 für den Milestone-Zukunftspreis nominiert wurde. 1997 wurde das „Museum Humanum“ eröffnet. Peter Coreth begann als Dichter. Er erhielt etwa den Georg-Trakl-Förderungspreises 1972 oder den J.A. Lux-Literaturpreises. Danach erschienen vorwiegend kunst- und kulturwissenschaftliche Publikationen. Peter Coreth ist Träger der Prager Comenius-Medaille 2004 für Verdienste um die europäische Völkerverständigung. 2007 wurde er mit dem Kultur-Preis des Landes Niederösterreich in der Sparte Erwachsenenbildung ausgezeichnet.