asdf
 

Neben einer Uhr auch noch Zeit haben

INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG

14/07/16 Psychologie und Medizin, Ökonomie Philosophie und sogar ein wenig Astronomie: Wenn es um die Zeit geht, sind viele Disziplinen involviert. Und alle versuchen ein kleines Stück weit zu erklären, warum wir nie Zeit haben. Dass die Hast nicht gut (und die Zeitnot nur bedingt wahr) ist, darin sind sie sich aber einig.

Die Psychologin Hede Helfrich unterschied zuerst zwischen zwei Arten des Zeitempfindens: Zum einen existiert die innere Uhr, die sich an wiederkehrenden biologischen Rhythmen wie dem Pulsschlag, der Atmung und den Schlaf-Wach-Phasen orientiert. Zum anderen konstruiere sich der Mensch – abgekoppelt von der inneren Uhr - seine eigene „Ereigniszeit“, erklärt Hede Helfrich. Wie Zeit nun subjektiv wahrgenommen und erinnert wird, bezeichnet die Wissenschafterin als „Zeitparadox“. Denn die Zeit, die voller Eindrücke und Signale ist, dehnt sich in der Wahrnehmung aus und wirkt länger, als sie eigentlich ist. Das Phänomen sollte von Urlauben her bekannt sein. Ruhigere Zeiten hingegen liefern weniger Signale, hinterlassen somit weniger Spuren im Gedächtnis und erscheinen rückblickend kurz.

Interessant ist, dass bei der Nutzung von neuen Medien dieses Zeitparadox nicht zu gelten scheint. Wie lange können wir doch vor dem Bildschirm festsitzen und surfen! Trotz der Vielzahl an Eindrücken und der schnellen Verarbeitung von Signalen werde der Beschäftigung im Netz offenbar wenig Bedeutung beigemessen und im Gedächtnis verbleiben nur wenige Spuren, folgert die Psychologin.

Dass das Tempo in unserer Gesellschaft zunimmt, stellt auch Michael Schulte-Markwort in seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fest. Der Psychiater berichtet, dass er zunehmend mit erschöpften Jugendlichen zu tun habe, die dem Leistungsdruck unserer Zeit nicht standhalten und schlichtweg überfordert sind. Konzentrationsverlust, Leistungsknick und Antriebslosigkeit seien nur einige der Symptome. Speziell dyspraktische Kinder, die im allgemeinen als „tollpatschig“ wahrgenommen werden, Probleme unter anderem mit der Grob- oder Feinmotorik und mit Schnelligkeit haben, kämen schwer mit Stress zurecht. Sie ziehen sich zurück, nicht zuletzt  auf die Reaktionen hin, die sie aus ihrem Umfeld erfahren – immer als letztes Kind im Turnunterricht ins Team gewählt zu werden ist dabei nur ein Aspekt. Die heutigen Kinder seien zudem sehr reflektiert und bauten auch selbst innerlich Druck auf, wenn es zum Beispiel darum gehe, mit einem guten Zeugnis in eine anspruchsvolle höhere Schule wechseln zu können, was möglicherweise Einfluss auf zukünftige Berufschancen hat. Es gebe keine Einzelursache, die psychische Erkrankungen erklären könnte, so Schulte-Markwort, sondern vielmehr ein Zusammenspiel gesamtgesellschaftlicher Phänomene. Als Stichworte nennt er Familienleben, Schule, die digitale Welt, Ökonomisierung und das Prinzip Leistung. Bei Kindern mit einem guten Familienklima sei die Gefahr, Depression oder Angstsymptome zu entwickeln, nur halb so groß. Neue gesellschaftliche Gegebenheiten gelte es zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang möchte er auch den natürlichen Umgang von Kindern mit dem Smartphone nicht verteufeln: „Betrachten Sie WhatsApp als digitale Nabelschnur“, empfiehlt der Jugendpsychiater.

„Geld ist Zeit“ betitelte Peter Heintel seinen Vortrag. Die These des Philosophen: In Umkehrung der bekannten Wendung „Zeit ist Geld“ bestimme und strukturiere auch Geld die Zeit. Bereits Aristoteles habe festgestellt: „Schlecht ist es, wenn das Geld Junge bekommt.“ Denn in diesem Moment, wenn Geld Zinsen produziert, werde es vom Austauschäquivalent zur Ware und offen für Spekulation. Kredite, Zinsen, Aktien, Derivate – all diese Dinge „haben etwas mit Zeit und Zeitstrukturierung zu tun und Zeitordnung kommt damit in die Verfügung der Menschen. Indem sie Kredite nehmen oder geben, beeinflussen sie aktiv ihr Verhältnis zur Zeit“, so Heintel. Immerhin heiße einen Kredit nehmen sich Zukunft kaufen.

Die Vorwegnahme von Zukunft durch Geldgeschäfte, das Erfüllen von Zukunftsträumen in der Gegenwart und das dadurch erfahrene „Glück durch Borgen“ geben uns ein Gefühl von „Zeitmacht“. Die Warnung des Philosophen: Wenig beachtet werde oft, welchen Preis wir für dieses Hineinnehmen der Zukunft in die Gegenwart buchstäblich zu zahlen haben: unsere Lebenszeit verdichte sich, scheine schneller zu vergehen und werde begleitet von Entbehrungen und der Sorge um fristgerechte Rückzahlungen. In einer zunehmend ökonomisierten Welt, die alle gesellschaftlichen Subsysteme erfasst, betrachtet Peter Heintel, Gründer des Vereins zur Verzögerung der Zeit, die Tendenz zur Sinngebung durch Kaufakte kritisch und stellt fest, dass vollendete Zeit zunehmend mit vollgefüllter Zeit verwechselt wird.

Völlig andere Aspekte der Zeit rückte die Astronomin Lisa Kaltenegger ins Blickfeld. Rund viertausend Sterne seien am Firmament mit freiem Auge unter guten Bedingungen sichtbar, erklärt sie. Die Milchstraße insgesamt hat etwa 200 Milliarden Sterne, die von Planeten umkreist werden. Jeder fünfte davon habe das Potenzial, eine Form von Leben zu beherbergen. „Und dabei ist selbst unsere gesamte Galaxie mit ihren 100.000 Lichtjahren Durchmesser nur ein Tropfen im Ozean des Universums.“ Das lässt die Astrophysikerin frohlocken: „Wir leben genau in der spannenden Zeit, die die Technik hat, erdenähnliche Planeten zu finden und zu erforschen.“ Es gelte freilich, neue Charakteristika von Leben mitzudenken: „Wir dürfen nicht nur nach uns suchen.“

Haben wir wohl die Zeit, anderes Leben zu finden, wenn man an die Entfernungen von tausenden Lichtjahren denkt? Lisa Kaltenegger sieht die Sache positiv: Licht, das tausende Lichtjahre benötigt, um uns zu erreichen, liefert Informationen darüber, wie es vor unserer Zeit ausgesehen hat und die daraus gewonnenen Erkenntnisse seien wiederum Grundlage für einen Blick nach vorn. (IPW)

Die 65. Internationale Pädagogische Werktagung geht morgen Freitag (1.7.) zu Ende – www.bildungskirche.at/Werktagung
Bilder: Katholisches Bildungswerk

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014