Aber wohl niemals liebten die Horen
INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG
11/07/16 „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.“ Das wissen wir nicht erst, seit Hugo von Hofmannsthal dieses für Richard Strauss ins „Rosenkavalier“-Libretto geschrieben hat. Clemens Hellsberg, pensionierter Geiger und Vorstand der Wiener Philharmoniker, ist heute Montag (11.7.) Eröffnungsredner der Internationalen Pädagogischen Werktagung.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Gräfin beklagt das Älterwerden und das – subjektive – Davongaloppieren der Zeit. Dabei ist sie, für heutige Verhältnisse jedenfalls, in den besten Jahren. Manch heutige Karrierefrau denkt erst im Alter der Rosenkavalier-Gräfin ernsthaft übers Kinderkriegen nach. Eine ganze Medizinbranche lebt davon.
Sängern könnte zum Thema Zeit und deren subjektiv unterschiedlichem Verfließen auch der Heine-Liederkreis von Schumann in den Sinn kommen. Da wartet in einer Miniatur ein Mann höchst ungeduldig auf seine Geliebte: „Nur wenige Stunden, dann soll ich sie schauen“ – doch leider: „Aber noch niemals liebten die Horen“, und so zieht sich die Angelegenheit.
Jahre rasen – Sekunden schleichen: zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich häufig unser Zeitempfinden. Hede Helfrich, ehemalige Lehrstuhlinhaberin für Psychologie und Interkulturelle Kommunikation an den Universitäten Hildesheim und Chemnitz, nennt zwei Ursachen für die im Alter schneller laufende Zeit: Die biologische Innere Uhr des Menschen laufe mit zunehmendem Alter langsamer, deshalb werde die physikalische Zeit als schneller empfunden.
„Obwohl wir kein spezielles Sinnesorgan für die Zeitwahrnehmung haben, spielt die Zeit in unserem Leben eine große Rolle. In der gegenwärtigen Gesellschaft mit ihren beschleunigten Zeittakten und Kommunikationsmöglichkeiten haben viele das Gefühl, dass ihnen die Zeit davon eilt“, sagt die Wissenschafterin, die am Mittwoch (13.7.) bei der Werktagung referieren wird. „Mit zunehmendem Alter scheint die Zeit immer schneller zu laufen. Andererseits scheint die Zeit dahin zu kriechen, wenn wir vor einer roten Ampel stehen.“
Viel hängt auch davon ab, wie wir unser Verhältnis zur Zeit gestalten und nicht zuletzt ist es eine Frage des Kulturkreises und der Mentalität. Die Uhren ticken nicht in allen Ländern gleich schnell. „Zwar verfügen alle Kulturen über einen Zeitbegriff, doch gibt es beträchtliche Unterschiede in den tradierten Zeitvorstellungen und im alltäglichen Umgang mit der Zeit. So existieren je nach Land unterschiedliche Auffassungen darüber, was 'pünktlich' und was 'spät', was 'jetzt' und was 'später' bedeutet. Hede Helfrich geht also von vier verschiedenen Facetten der Zeit aus: der biologischen Zeit, der persönlichen Zeit, der sozialen Zeit und der kulturellen Zeit.