Wozu eigentlich Kulturhauptstadt werden?
HINTERGRUND / KULTURHAUPTSTADT 2024
07/04/16 „Man könnte diese Diskussion kritisch mit der Frage beginnen, wie reizvoll es noch sein kann, im Jahr 2024 die 72. Stadt Europas mit diesem Titel zu sein?“ So Elisabeth Leitner, eine der Teilnehmerinnen an einer Diskussion heute Donnerstag (7.4.) im Rahmen des Kooperationsschwerpunkts Wissenschaft und Kunst in der Universität Salzburg. Im Uni-Park Nonntal wird zu dem Thema auch eine Wanderausstellung eröffnet.
Von Reinhard Kriechbaum
Elisabeth Leitner kommt von der Architektur her, ein Eventmanagement-Studium hat sie auch hinter sich. „Stadtbaukultur der Kulturhauptstadt“ war Dissertationsthema der 1979 geborenen Niederösterreicherin. „Zum Erfolg oder Misserfolg dieses Ausnahmejahres bei Graz 2003 und Linz 2009 gibt es vielfache Pro- als auch Contra-Stimmen. Offen ist, welche Chancen und Risiken ein erneuter Bewerbungsprozess bieten würde“, erklärt sie.
Das Regelwerk der Europäischen Union für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas sei im Laufe der vergangenen 31 Jahre der Initiative deutlich umfangreicher und präziser geworden als dies 1985 der Fall war, jedoch lasse es immer noch ausreichend Raum, um die europäischen Vorgaben zu interpretieren und für sich zu nutzen. „Klar ist, dass sich eine Stadt bewerben muss, diese kann 'jedweder Größe' sein und die Einbindung der umliegenden Region wird zur Vergrößerung des Wirkungsgrades gewünscht.“ Der Titel sei mithin „kein Marketinginstrument“, sondern es gehe um eine „langfristige Strategie der Stadt- und Regionalentwicklung“.
Der Frage, welche Stadt oder Region von einem solchen Prozess am meisten profitieren würde bzw. diese Chance ergreifen sollte, sind mehr als hundert Studierende fast aller Architektur-, Landschaftsarchitektur und Planungsuniversitäten nachgegangen. Erstes Ergebnis der von Elisabeth Leitner initiierten Plattform „kulturhauptstadt2024.at“ war die erste gemeinsame Lehrveranstaltung aller einschlägige Angebote anbietenden Universitäten Österreichs. „Die Studierenden haben in transuniversitären Teams mögliche Konzepte und Szenarien für die Österreichische Kulturhauptstadt Europas 2024 entwickelt“, so Elisabeth Leitner. Eine Ausstellung wurde aufbereitet, die seit Herbst vergangenen Jahres durch Österreich wandert. Bis 18. April macht sie im UniPark Nonntal Halt.
Die Studierenden haben vierzehn Projekte für unterschiedliche Regionen Österreichs vorgeschlagen, darunter das Rheintal, Innsbruck mit dem Brenner, mehrere Regionen in Kärnten und angrenzender Bundes- und Nachbarländer, das Salzkammergut, Wels bis Linz, die Region um den Erzberg sowie Eisenstadt mit umliegender Region und angrenzenden Nachbarn.
„Sind es heutzutage nicht jene Räume zwischen den Städten, die unsere (autobasierte) Freizeit- und Alltagskultur prägen, und dienen unsere Stadtkerne (im besten Fall) nicht nur mehr als pittoreske Kulisse für gastronomische und touristische Angebote?“ Das ist eine der Fragen, die die Studenten beschäftigten. Eine andere: Was bedeutet die demografische Entwicklung für unsere Städte und was bedeutet sie vor allem für „das Land“ und seine Kultur?
Die Überlegungen der Studierenden zielen jedenfalls deutlich tiefer als auf jene Ebene, wie man der EU zum Kulturhauptstadt-Anlass möglichst viel Geld für die bestehenden Kultureinrichtungen und lokal geplante Infrastrukturverbesserungen abknöpft: „Ist es unsere Aufgabe, kulturelle Tourismusattraktionen auf immer und ewig einzufrieren und wer entscheidet wann der zu konservierende Zeitpunkt ist?“ Damit verbunden seien Überlegungen, wer nun wirklich „Anspruch hat auf unsere Städte und ihre Kulturen“. Diese seien eben ein „Abbild einer langen, vielfach wechselhaften Geschichte“, und das Wissen darum solle sich spiegeln. Gerade beim Bauen stellten sich Fragen zur Nachhaltigkeit. „Wie ist der Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen und welche (Un-)Kulturen gäbe es dabei zu thematisieren? Wie viele Wunden verträgt unsere Kulturlandschaft und wie ist unser Umgang mit 'verbrauchter Landschaft'?“
Jedenfalls, so Elisabeth Leitner sei es spannender, die Notwendigkeit einer Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas anhand solcher und ähnlicher Fragestellungen zu diskutieren, „anstatt diese Zukunftsdiskussion mittels Einwohnerzahlen, Nächtigungszahlen und Budgethöhen bereits im Keim zu ersticken“.