Zeit-Wohlstand für alle …
HINTERGRUND / SONNTAGS-KULTUR
21/11/12 … nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können. So formuliert Gabriele Kienesberger von der Katholischen Sozialakademie Österreich das Dauerbrenner-Anliegen gerade im Advent-Vorfeld: die Sonn- und Feiertagsruhe.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie steht es wirklich um den Zeit-Wohlstand in Sachen freier Sonntag? Die Katholische Aktion Salzburg hat am Mittwoch (21.11.) zu einem Pressegespräch ins ABZ Itzling (das ArbeiterInnen-Begegnungszentrum heißt jetzt werbetechnisch „Haus der Möglichkeiten“) geladen. Klar, man ist gegen Sonntagsarbeit und weiß sich eins mit 55 weiteren Institutionen in Österreich. Sie alle, Kirchen und Gewerkschaften, die Arbeiterkammer, der Alpenverein und die Naturfreunde bis hin zum Österreichischen Blasmusikverband, sind Mitglied der „Allianz für den freien Sonntag“. Diese Interessensgemeinschaft gibt es seit zehn Jahren. Im Vorjahr wurde eine ähnliche Plattform auch auf europäischer Ebene gegründet.
Interessant, weil man ja immer (von Wirtschaftsseite) hört, dass Österreich mit seinen eher restriktiven Sonntagsruhe-Bestimmungen als Hinterwäldler hingestellt wird: Manche Länder Europas beneiden uns zum Beispiel um die Allianz zwischen Gewerkschaften und Kirchen bei diesem Thema. „Aus europäischer Perspektive sind wir n icht Verhinderer, sondern eine Avantgarde“, formuliert es Heiner Sternemann, seit einem Jahr Berufsseelsorger der Erzdiözese Salzburg. Er kommt aus Deutschland, wo Geschäfte an zwei Advent-Sonntagen offen halten dürfen. Im ehemals kommunistischen Osteuropa, wo einst der arbeitsfreie Tag nicht zwingend der Sonntag sein musste, bemüht man sich um den Sonntag als Common sense. Die polnische Gewerkschaft Solidarnosc beispielsweise hat vierzehn Ruhe-Sonntage herausgehandelt, und das sei ein mühsamer Kampf gewesen, heißt es.
Dass die Konzerne Spar und Rewe nicht mitmachen beim Vorstoß der Wirtschaftskammer, am 24. Dezember eine Stunde und am Silvesternachmittag gleich drei Stunden länger (bis 17 Uhr) offen zu halten, lobt die Katholische Aktion geradezu überschwänglich. In Deutschland gibt es gegen die Sonntags-Öffnung ein grundsätzliches Urteil, dass nämlich soziale Argumente in diesem Fall wichtiger zu nehmen seien als ökonomische Überlegungen.
Die Statistik sage eindeutig, dass die Arbeit zu außergewöhnlichen Zeiten – parallel mit den prekären Arbeitsverhältnissen – zunehme, weiß Gabriele Kienesberger von der Katholischen Sozialakademie Österreich. „Wir dürfen uns nicht in den Sack lügen: Die Sonntagsarbeit nimmt zu.“ In Salzburg gibt es 270.400 Arbeitnehmer. „Regelmäßig“ (also jeden zweiten Sonntag) arbeiten 51.100 Salzburger, 26.000 Männer und 25.100 Frauen.
Das Knabbern an der "freien" Zeit hört nicht auf, und das habe, wie Studien längst ergeben haben, Auswirkungen auf die „Work-Life-Balance“. Kein Wunder, dass auch der Blasmusikverband für freie Sonntage ist. Wie soll eine Blaskapelle spielen, wie ein Chor singen, wenn der Konsens über freie Tage, den Sonntag speziell, verloren geht?
Gemeinsame Freie Zeit ist demnach ein wesentliches Kulturthema, denn – so KA-Vorsitzende Doris Witzmann – „Zeit-Verfügbarkeit bedingt Beziehungs-, Feier- und Festkultur“. Oder, wie es KA-Generalsekretär Hannes Schneilinger, formuliert: „Für eine Matinee des Mozarteumorchesters brauchen wir sieben Achtel der Anwesenden als Publikum.“ Auch der Kultur-Konsum braucht freie Zeit, und zwar möglichst gemeinsame Stunden und Tage. Kultur hat also viel mit (gemeinsamer) Freizeit zu tun, und das gilt nicht nur für jene, die sich als Amateur-Kulturschaffende mehr oder weniger hobbymäßig einsetzen.
Doris Witzmann wehrt sich gegen Verdrehungen: „Es muss dem Menschen gut gehen, damit es der Wirtschaft gut geht, und nicht umgekehrt, wie es ein Werbeslogan suggeriert.“ Auch Gabriele Kienesberger weist auf polemische Formulierungen hin: Es sei keineswegs so, dass Billa seinen Mitarbeiterinnen „einen Tag schenkt“, wenn die Filialen am 8. Dezember geschlossen bleiben. „Es ist ein gesetzlicher Feiertag“, erinnert sie. Es werde also bloß den Angestellten kein ihnen zustehender Feiertag gestohlen.
Einen hübschen Schlüsselanhänger hat die „Allianz für den freien Sonntag“ produziert: Auf dem roten Scheibchen, das man statt einer Münze ins Einkaufs-Wägelchen steckt, steht „Sonntags frei“ und die Mailadresse www.freiersonntag.at. Wenigstens ein schlechtes Gewissen sollte man haben …