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Wie es zur Abrissbirne kam

HINTERGRUND / BAHNHOF (1)

28/06/12 Der Bahnhof: eine Grätsche zwischen verkehrstechnischen Anforderungen und verantwortlichem Umgang mit den alten „Kathedralen der Mobilität“ ist notwendig. DrehPunktKultur hat den Architekturhistoriker und -kritiker Norbert Mayr gebeten, sich die Lage im Bahnhof selbst und im Umfeld genauer anzusehen.

Von Norbert Mayr

Am 22. Oktober 2005 erklärte Michaela Steinacker von ÖBB-Immobilien auf die Frage, ob der gesamte Bahnhof abgerissen werde, in einem Zeitungsinterview: „Das kann man derzeit überhaupt nicht sagen, da die Verhandlungen und Gespräche noch laufen und deren Ausgang noch nicht klar ist.“ Gewöhnlich stellen selbst ÖBB-Hardliner den Denkmalschutz des 1860 errichteten Ankunftsgebäudes nicht in Abrede. Weniger zimperlich war die Bahn beim Mittelbahnsteig von 1907/09. Sie ignorierte 1999 dessen Denkmalschutz beim Wettbewerb für die überfällige Bahnhofsanierung und Modernisierung und betrieb „erfolgreich“ den Abbruch des Großteils.

Es fehlte die faire Abwägung der beiden öffentlichen Interessen – Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und Denkmalschutz. Eine Diskussionsplattform hätte – mittlerweile bereits vor 10 Jahren – das zweitägige Symposium "Verstehen Sie Bahnhof" 2002 angeboten. Internationale Experten und Bewohner diskutierten über die Themen Denkmalschutz und öffentlicher Verkehr, Bahnhofsoffensive und Architektur, die Privatisierung und Kommerzialisierung von öffentlichen Räumen und Bahnhöfen, die konkreten Neubauüberlegungen von Bahn und Post im Spannungsfeld zum bestehenden Bahnhofsviertel und die Chancen einer sozial verträglichen Stadterneuerung.

Die Bahnhöfe Österreichs, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, stolze "Kathedralen der Mobilität", haben ihr Erscheinungsbild verändert: Was die Bomben des Zweiten Weltkriegs übrig ließen, wurde bei Umbauten verstümmelt, fiel der Verwahrlosung oder dem Abriss zum Opfer. Neubauten waren – fast ohne Ausnahme – von banalster Art. Diese Selbstverstümmelungen der Bahn schwächten die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs. Bekanntlich stehen die ÖBB in scharfem Wettbewerb mit Auto und Flugzeug.

Generaldirektor Helmut Draxler setzt bei der österreichweiten Bahnhofsoffensive zu Recht auf die Potenziale moderner Architektur. 1998 wurde in den Bundesländern mit der Durchführung von Wettbewerben begonnen. Mittlerweile realisierten beispielsweise die Grazer Architekten Riegler & Riewe den Neubau des Innsbrucker Bahnhofes. Auch der Linzer Bahnhof ist fertig. Wilhelm Holzbauer hat ihn geplant. Er stach das klare Siegerprojekt von Steiner/Neumann beim Wettbewerb 1997 aus. Der Linzer Gestaltungsbeirat sprach sich gegen den Planerwechsel aus, den die ÖBB aber durchzog.

In Salzburg ist – 13 Jahre nach dem Wettbewerb – die Fertigstellung der Neustrukturierung in Sicht. Die "Neue Bahn" wollte auch in Salzburg ihre verstaubte Vergangenheit abschütteln und setzte auf positiv besetzte Schlagworte, pflegeleichte Sauberkeit und Transparenz, also viel Glas und zusätzliche Sicherheit durch Videoüberwachung. Zudem wurde in einer Werbebroschüre "das architektonische Erbe der Vergangenheit in die Zukunft hinüberzuretten“ als angeblich "oberstes Gebot" gepriesen. Beim Mittelbahnsteig des Salzburger Hauptbahnhofs begleitete allerdings die Ignorierung des Denkmalstatus von Anfang an die Überlegungen der ÖBB.

Die Qualität des Zentralperrons, der Nach Plänen von Architekt Hans Granichstaedten zwischen 1907 und 1909 errichtet wurde, war trotz Bombenschäden bis zu seinem Abbruch noch gut erkennbar. Das prägnante Mittelgebäude war in ein Ensemble aus zwei großen Eisenhallen von je 25 Meter Stützweite und anschließenden niedrigeren Hallen sowie den fingerartigen Bahnsteigdächern eingebettet. Die "letzte erhaltene Eisenbahn-Hallenkonstruktion dieser Art in Österreich“ ist „von besonders repräsentativer und benutzerfreundlicher Ausprägung, die auch ästhetisch-architektonische Bedeutung besitzt". So lautete das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens des Bundesdenkmalamtes (BDA) 1998. Der Bescheid beinhaltete neben dem Aufnahmegebäude von 1860 den "Mittelbahnsteig samt Halle und Restaurant" als "Bauteile von besonderer Bedeutung“. Trotz Bombenschädigung fanden sich überall am Zentralperron spätsezessionistische Details. Stark verkommen waren die ehemaligen Zollpavillons: Großteils war aber die originale Konstruktion aus Eisenfachwerk mit dazwischengesetzten Steinplatten noch erhalten. Der Architekt schuf sie in Anlehnung an die Stadtbahnhaltestellen Otto Wagners am Wiener Karlsplatz von 1898/99.

Beim geladenen internationalen Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Hauptbahnhofs 1999 gaben die ÖBB den Zentralperron zum Abriss frei. Diese Option schlug sich auch in das Siegerprojekt von Architekt Klaus Kada nieder. Prompt regte sich massiver Widerstand, allerdings nicht wegen der Erhaltung des Mittelbahnsteig-Ensembles, sondern nur für den so genannten „Marmorsaal“ im Mittelgebäude. Er entstand 1948 an der Stelle des Restaurants der 1. und 2. Klasse von 1908, das architektonisch ungleich bedeutender war.

Der reich ausgestattete „Marmorsaal“ mit Verkleidungen aus Adneter Marmor besaß eine von Literaten besonders geschätzte Atmosphäre. Er war auch die Spielstätte von Hans Schrotts Salzburger Salon Ensemble. Ulrike und Hans Schrott waren von mehreren Ungereimtheiten im Verfahren überzeugt und regten die Überprüfung der behördlichen Schritte an. Mit erstaunlichem Eifer suchten daraufhin die ÖBB einen Ersatzstandort für die Innenausstattung des Marmorsaals. Man dachte sogar ns Gründerzeit-Stiegenhaus im denkmalgeschützten Aufnahmegebäude von 1860. Die absurde Idee entschlief.

Die ÖBB behielten die Strategie bei, anstelle des Mittelbahnsteigs den „Marmorsaal“ in den Mittelpunkt der medialen Debatte zu stellen und mit dem Hinweis auf dessen geringe Bedeutung die Kompetenz des Bundesdenkmalamts in Zweifel zu ziehen. Die Bahn hatte leichtes Spiel, da das BDA die Falschinformation nicht öffentlich richtig stellte. Für die meisten Medien waren Mittelbahnsteig und Saal sowieso einerlei.

Die wichtige Stärkung des öffentlichen Verkehrs wurde unverantwortlich lange vernachlässigt. Mit Hinweis auf die gegenüber dem ehemaligen Grenzbahnhof heute verkehrstechnisch gänzlich neue Situation pochten die ÖBB auf zusätzlich notwendige Durchgangsgleise. Die "Salzburger Plattform der Verkehrsinitiativen" erkannte hingegen überhaupt keinen zusätzlichen Gleisbedarf. Das Argument der ÖBB, dass der Platz des Mittelbahnsteiges für den Bau eines Durchfahrtsgleises gebraucht werde, entspreche nicht den Tatsachen: "Die bestehenden fünf Fernverkehrsgleise sind ausreichend, der Bau von vier weiteren ist überflüssig."

Obwohl sich alle Verkehrsexperten der Förderung des Öffentlichen Verkehrs verschrieben haben, waren nur jene der ÖBB von der Notwendigkeit eines Abbruchs überzeugt. (Wird fortgesetzt)

Bilder: Archiv Norbert Mayr (3); dpk-krie (1)
Zum Kommentar Verschenkt: Bahnhof mit Festungsblick
Zur Reportage Adieu, Mittelbahnsteig! (Teil 1)
und Was noch da ist und was fehlt (Teil 2)
Zum Porträt Jana Breuste Jugendstil und Salzburg?

 

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