Schwul in Salzburg
HINTERGRUND / STADTARCHIV / HOSI
09/11/23 In der NS-Zeit liefen am Landesgericht Salzburg Verfahren gegen 338 homosexuelle Personen. Noch in den 1990er Jahren (!) wurden die Gerichtsakten vernichtet mit der Begründung, sie seien nicht archivwürdig. – Glücklicherweise haben sich die Zeiten und damit die Sichtweise auf queere Lebensformen geändert.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Archivmaterial der 1980 gegründeten Menschenrechtsorganisation HOSI Salzburg, der Homosexuellen Initiative, wird jedenfalls nicht der Reißwolf fressen. Es wurde kürzlich dem Haus der Stadtgeschichte übergeben. Damit soll die Grundlage für die Dokumentation der queeren Geschichte Salzburgs geschaffen werden.
Eine solche Aufarbeitung würde eine Forschungslücke füllen, denn zum Thema Homosexualität gibt es kaum Arbeiten. Im Mittelalter waren homosexuelle Menschen auf dem Gebiet des heutigen Österreich Verfolgung ausgesetzt. Im Fürsterzbistum wird es kaum anders gewesen sein. Bis 1787 war sogar die Todesstrafe vorgesehen. 1852 wurde die „Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ als Verbrechen im Strafgesetzbuch kodifiziert. Der im § 129 Ib festgelegte Strafrahmen betrug bis zu fünf Jahre schweren Kerkers.
Die Strafverfolgung gleichgeschlechtlicher Sexualität erreichte in Österreich während der NS-Herrschaft ihren grausamen Höhepunkt. Wie die Recherchen des Salzburger Zeithistorikers Gert Kerschbaumer ergaben, liefen am Landesgericht Salzburg gegen 338 Personen, darunter sechs Frauen, Verfahren nach § 129 Ib des nach wie vor gültigen österreichischen Strafrechts.
Die betreffenden Gerichtsakten wurden in den 1990er Jahren mit der Begründung, sie seien nicht archivwürdig, vernichtet, sodass die konkreten Hintergründe ihrer Verhaftungen nicht mehr eruiert werden können.
Otto Schneider, Ballettmeister, kam 1941 im KZ Buchenwald um, der Opernsänger Franz Nachtnepel 1945 in Mauthausen. Für zehn Homosexuelle, die in der NS-Zeit zu Tode kamen, wurden in Salzburg Gedenksteine verlegt. Tragisch das Schicksal von Franz Schinnerl, der zwar 1945 noch die Befreiung des KZ Dachau erlebte, dort aber kurz darauf an Fleckfieber und Typhus starb. Hunderte Lagerinsaßen verblieben nämlich wegen der Epidemien in Quarantäne.
1971 endete zwar das Totalverbot von Homosexualität in Österreich, nicht jedoch die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen im Strafrecht. Sondertatbestände (z. B. gleichgeschlechtliche „Unzucht“ mit Jugendlichen oder Werbung für „Unzucht“ mit Personen des gleichen Geschlechts) wurden zum vermeintlichen Schutz der Gesellschaft vor einer nach wie vor als „unzüchtig“ angesehenen Sexualität geschaffen. 2002 wurde auch der letzte Straftatbestand vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben.
Leiterin des Hauses der Stadtgeschichte Sabine Veits-Falk sieht in dieser Zusammenarbeit Chancen, um die Geschichte der Salzburger Queeren-Bewegung besser aufzuarbeiten: „Als nächsten Schritt werden wir Interviews mit queeren Menschen führen, die bereit sind, über ihre Lebensgeschichten und -erfahrungen in Salzburg Auskunft zu geben. Damit schaffen wir weitere Quellen für eine hoffentlich zeitnahe wissenschaftliche Auseinandersetzung.“
HOSI-Geschäftsführerin Conny Felice freut sich auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und betont: „Eine Aufarbeitung wird zum besseren Verständnis der schwierigen Lebensumstände queerer Menschen beitragen.“ Die HOSI Salzburg sei weit über Österreich hinaus zu einem Leuchtturmprojekt geworden. „Mit unserer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben tragen wir zu einem respektvollen Miteinander bei.“
Vizebürgermeister Bernhard Auinger verwies bei der Übergabe von HOSI-Plakaten und Veröffentlichungen auf den jedes Jahr stattfindenden Monat der Vielfalt. „Mit der Übergabe von Materialien der HOSI an das Stadtarchiv ist nun auch ein erster wichtiger Schritt getan, dass die Geschichte der Lebensumstände und Schicksale homosexueller Menschen Eingang in die Stadtgeschichte findet.“ (InfoZ/dpk-krie)