Sommerzeit? Da gingen die Sonnenuhren nach
HINTERGRUND / ZEITUMSTELLUNG
24/10/20 „Vor einem Jahr habe ich noch gemeint, das Ende der Zeitumstellungen sei gekommen. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein,“ sagt Turmuhrmacher Michael Neureiter. In diesen Tagen hat er wieder viel zu tun. Die Turmuhren reagieren ja nicht auf Funk-Zuruf, wie Handy oder Windows-PC.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Regel: Am letzten Sonntag im Oktober, exakt um drei Uhr morgens, wird an der Uhr gedreht. Sie wird auf zwei Uhr zurück gestellt. Da die Sperrstunde der Lokale in Zeiten wie diesen ja früh ist und private Feiern tunlichst zu unterbleiben haben, stehen diesmal die Chancen besonders gut, dass man morgens blendend ausgeschlafen aufwacht – so man vor dem Einschlafen nicht ausgerechnet auf den Radiowecker vergessen hat. Fortschrittlichere Zeitgenossen haben ja einen, der sich selbsttätig auf die richtige Zeitschiene bringt.
Bei historischen Turmuhrwerken erfolgt die Umstellung auf die Normalzeit logischerweise nicht durch ein automatisches Zurückstellen um eine Stunde: „Da braucht es einen Besuch beim Werk und ein Zurückstellen von Hand – oder eine Stunde Zuwarten“, erklärt Neureiter. „Das ist immer auch eine gute Gelegenheit, das betreffende Werk zu schmieren und den Zustand zu überprüfen!“ In der Stadt Salzburg und im näheren Umkreis sorgt Michael Neureiter zwei Mal im Jahr selbst für die Umstellung von vier kostbaren historischen Werken: in der Großen Aula der Universität (gebaut 1746), in Zellhof bei Mattsee (ca. 1780), im Salzburger Borromäum (1912) und im Turmhaus Kleßheim (1732).
Gar nicht selten kommt es vor, dass an und auf Kirchtürmen nebeneinander mechanische Uhrwerke und Sonnenuhren nebeneinander existieren. Die mechanischen Uhrwerke hat man von Zeit zu Zeit nach den Sonnenuhren gerichtet. Das war genau genug. Vor Erfindung des Telefons war es eigentlich belanglos, wie genau die Zeit tatsächlich mit dem Universum synchron lief. War eben in einem Dorf um fünf Minuten früher Mittag als in der Nachbargemeinde. Überhaupt kein Problem.
Das Bild links zeigt die Pfarrkirche Vigaun. „Eine ganzjährige Sommerzeit hätte auch die Folge, dass Sonnenuhren immer eine Stunde hinten wären“, erklärt Michael Neureiter. Ein Schönheitsfehler gewiss, wenn auch für den Normal-Zeitverbraucher nicht wirklich von Belang. Wer schaut schon auf die Sonnenuhr? Ab sofort laufen jedenfalls die Sonnenuhr aus dem Jahr 1765 und die Zeiger auf dem Turmuhr-Zifferblatt in Vigaun wieder synchron.
Das imponierende Zahnräder-Wirrwarr, an dem Neureiter sich im Bild oben zu schaffen macht, ist im Turmhaus Kleßheim zu finden. Beim südwestlichen Parkeingang links hinter dem Schloss. Wenn solche Uhrwerke erzählen könnten! Das Turmhaus dort wurde im Auftrag von Fürsterzbischof Anton Eleutherius von Firmian errichtet – im gleichen Jahr, in dem er das Emigrationspatent erließ und in der Folge mehr als 20.000 Protestanten aus dem Land verwiesen wurden. 1732 stattete Joseph Christoph Schmidt den Turm mit einem Uhrwerk aus.
Mehr Aufwand als bloß das Umstellen der Zeit und das Schmieren der beweglichen Teile brauchte es für das Turmuhrwerk in Schloss Hornegg in Preding südlich von Graz: Die Restaurierung dieser Kostbarkeit aus dem frühen 17. Jahrhundert war Michael Neureiters neuestes Projekt. Demnächst soll die Turmuhr dort in Betrieb gehen.
„Es ist eine herrliche Sache um die Erfindung der Uhrwerke, welche uns den Zeitverstrich Tags und Nachts richtig anzeigen, ...eine so herrliche Sache, daß man den Erfindern und Vervollkommnern derselben für diesen der Menschheit erwiesenen immerfort dauernden Dienst großen Dank, große Achtung schuldig ist und immer schuldig bleiben wird...“ So heißt es in Karl Friedrich Buschendorfs 1805 in Leipzig erschienenem Buch „Gründlicher Unterricht von Thurmuhren“. Wir dürfen annehmen, dass der Uhren-Pädagoge Autor schon die Uhrmacher und nicht die Räderwerke im Sinn hatte.
Eine Freude hat unterdessen niemand mehr mit der Zeitumstellung zwei Mal im Jahr. Der Plan, innerhalb der EU damit spätestens 2021 Schluss zu machen, wird eher nicht aufgehen. Die Staaten sind uneinig. Es soll jedenfalls kein europäischer Zeit-Fleckerlteppich entstehen. Würde man die Sommerzeit beibehalten, würde die Sonne bei uns zu Weihnachten erst gegen 9.30 Uhr aufgehen. Andrerseits hieße „ewige“ Winterzeit, dass die Sonne sogar Ende Juni schon um halb neun unterginge. Aber die EU hat im Moment ohnedies andere Sorgen als die Zeitregulierung. Michael Neureiter wird also noch einige Male händisch an seinen Zeitmaschinen drehen. Seine Kollegen in den USA tun das übrigens genau eine Woche später als in Europa üblich.