Steht der Gott-Kaiser womöglich nackt da?
SALZBURGER HOCHSCHULWOCHE
30/07/19 Unsere Welt sei „irreduzibel komplex“ geworden, schreiben die Salzburger Hochschulwochen auf ihrer Website. Reduzibel gesagt: Es scheint alles nicht wieder gutzumachend schwierig. Die Hochschulwochen haben ihrerseits drauf schon länger reagiert, indem sie für sich als „smarte Sommerfrische“ werben. Ein gewisses Understatement für eine theologisch ausgerichtete Fachtagung.
Das Thema heuer: „Die Komplexität der Welt und die Sehnsucht nach Einfachheit“. Hängt es mit der Unübersichtlichkeit und dem damit verbundenen Gefährdungs-Empfinden zusammen, dass Kinofilme mit Endzeitszenarien ebenso boomen wie Serien, die in einer Zeit nach einer vermeintlichen Katastrophe spielen? Sichtbar werde in diesen Szenarien vor allem, wie sehr sie von einer Sehnsucht nach Einfachheit und Reinigung geprägt seien. Das ist jedenfalls eine Beobachtung der Wiener Kulturtheoretikerin und Germanistin Eva Horn. Sie hat in ihrem ersten Vortrag eine Analyse populärkultureller Katastrophenszenarien vorgelegt. Darin sieht sie nämlich „anthropologische Enthüllungen“ über das Wesen des Menschen: Kernidee eines solchen „Katastrophenbegehrens“ sei die Annahme, dass erst der Worst Case, der Zusammenbruch der bisherigen Ordnung, die Dinge sichtbar mache, wie sie eigentlich liegen. Die Frage dabei: „Wird der Mensch sich selbst zum Wolf oder führt der Wegfall der Ordnung zu einer neuen Solidarität?“
Solche popkulturellen Phänomene hätten durchaus reale Entsprechungen etwa in den Milieus der „Prepper“, die sich auf Katastrophen vorbereiten und stets gewappnet sind, sich im Notfall aus der Gesellschaft auszuklinken und autark zu leben. Problematisch werde dies laut Eva Horn dort, wo der Katastrophe ein reinigender Charakter zugesprochen wird und zwischen Freund und Feind, zwischen einer Rettung würdigen und nicht-würdigen Menschen unterschieden werde. „Dies sind Phantasien, die die Moderne stark geprägt haben und immer noch wirksam sind“, so die Kulturtheoretikerin.
Wo politischer Populismus keimt, sei leider auch „Religionspopulismus“ nicht fern, so der Freiburger Theologe Prof. Magnus Striet. Der moderne Religionspopulismus zeige sich etwa dort, wo das religiöse Erleben als jeder wissenschaftlichen Erkenntnis oder theologischen Einsicht vorrangig betrachtet wird und ein „wahrer Glaube“ als Unterscheidungsmerkmal zwischen Gläubigen eingeführt werde, sagte Striet am Montag (29.7.) bei einem Vortrag in Salzburg, der zugleich den Auftakt zur heurigen „Salzburger Hochschulwoche“ darstellte. Ähnlich dem politischen Populismus zeige sich dieser religiöse Populismus unfähig zur Selbstkritik, antipluralistisch und letztlich antiintellektuell.
Beispiele für eine solchermaßen „antiintellektuelle Komplexitätsreduktion“, die sich zugleich modernster ästhetischer Inszenierungen bedient, böten etwa die jüngsten forcierten Programme einer „Neuevangelisierung“ bis hin zur Lehrverkündigung Papst Johannes Pauls II., der auf die Einsprüche etwa eines theologischen Freiheitsdenkens mit dem Beharren auf einer „objektiven Wahrheit des Lehramtes“ reagiert habe. So versuche ein Religionspopulismus durch das Paradigma „einfach nur glauben“ zu müssen, „eine durchsichtige Religionswelt gegen eine immer komplexere und undurchschaubarere Welt außen zu errichten“, so Striet. Dagegen gelte es festzuhalten: „Nur weil man einfache Antworten bietet, werden die Probleme nicht weniger komplex.“
Für ihn bleibe die Rede von einer Neuevangelisierung Europas „seltsam phrasenhaft“, da sie sich gleichsam unter Nutzung modernster Mittel der Ästhetik und Kommunikation jeder Auseinandersetzung mit modernen wissenschaftlichen und theologischen Erkenntnissen entziehe. „Bleibt für Gott da tatsächlich ein Platz? - Oder bleibt die Rede von der Neuevangelisierung nur ein rhetorisches Spiel, um zu verschleiern, dass der Kaiser nackt dasteht?“
Der Obmann der Hochschulwochen, Prof. Martin Dürnberger, bezeichnete im Eröffnungsfestakt weltliche Komplexität und die Sehnsucht nach Einfachheit als „zwei Signaturen unserer Zeit“, wobei gerade der Verweis auf Komplexität „ideologisch aufgeladen“ sei und als „Ausrede jener angeführt wird, die vom Status quo profitieren“ – jener also, die möglichst nichts ändern wollen an den Dingen. Auf diesen Zusammenhang habe zuletzt Jürgen Habermas bei einem Vortrag an der Universität Frankfurt aus Anlass seines 90. Geburtstages hingewiesen - und so in gewisser Weise auch den Hochschulwochen ins Stammbuch geschrieben, sich „in der unaufgeregten Kunst der Unterscheidung“ zu üben, so Dürnberger.
„Wenn die eigenen religiösen Wurzeln und Traditionen wegbrechen, wird die fremde Religion zum Feindbild erklärt.“ Davor warnte in einem Gottesdienst in der Franziskanerkirche der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. In seiner Predigt plädierte Kohlgraf für einen „einfachen Glauben“, der freilich nicht etwa auf theologische Eindeutigkeiten setze, sondern dessen „Einfachheit“ sich darin erweise, dass er seinen Ausdruck in konkreter Nächstenliebe finde. Der Glaube müsse für die Komplexität der Welt offen sein, den Dialog mit ihr suchen. Aber zugleich lauere eben auch im Glauben die Gefahr, der Sehnsucht nach einfachen Antworten zu erliegen: Darin ähnle die Religion dann auch politischen Populismen. Kohlgraf abschließend: „Das Ringen und Suchen in einer komplexen Welt nimmt uns der einfache Glaube nicht ab. Daher braucht es Theologie, daher braucht es das Gespräch mit anderen Weltzugängen.“ (SHW)