Stark übelriechend – aber echt riesig
FEUILLETON / TITANENWURZ
06/06/19 Titanismus oder Gigantomanie verbindet man selten mit der Anti-Mega-City Salzburg. Dabei tut sich dieser Tage im Süden der Stadt Megamäßiges: Der Titanenwurz, „eine der spektakulärsten Pflanzen der Welt“, steht kurz vor der Blüte. Nicht als Kreis-Verkehrs-Kunst inmitten, aber doch ganz in der Nähe des Straßenkreisels Michael-Pacher-Straße/Alpenstraße.
Von Heidemarie Klabacher
„Im Botanischen Garten der Naturwissenschaftlichen Fakultät steht die Titanenwurz kurz vor der Blüte. Es handelt sich dabei um eine der spektakulärsten Pflanzen der Welt. Sie bringt den größten unverzweigten Blütenstand im Pflanzenreich hervor. Das seltene Gewächs ist auf der Insel Sumatra in Indonesien heimisch und wächst im Unterwuchs von Regenwäldern.“ Das meldet heute Donnerstag (6.6.) zum Staunen aller die Universität Salzburg.
Ja, die Uni Salzburg hat tatsächlich einen wunderschönen Botanischen Garten, nicht mega- aber doch insgesamt eineinhalb Hektar groß: Auf etwa 10.000 Quadratmetern im Außenbereich neben dem NAWI-Gebäude an der Hellbrunner Straße fühlen sich Vertreterinnen und Vertreter der mitteleuropäischen Vegetation wohl. Weiters erwähnt die Website „Anzuchtflächen“ von 280 und „Experimentalgewächshäuser“ von 350 Quadratmetern. Das Fassaden-Gewächshaus mit 590 Quadratmetern ist in das (architektonisch noch immer spektakuläre) Hauptgebäude der Naturwissenschaftlichen Fakultät integriert und beherbergt vorwiegend tropischen Pflanzen. Und genau dorthin wende sich der Blick der Pflanzenfreaks. Denn dort steht, öffentlich zugänglich, die Titanenwurz Amorphophallus titanum. Seit dem 21. Mai kultiviere der Botanische Garten Salzburg die vierzig Kilo schwere Knolle.
Und was ist ein „unverzweigter Blütenstand“? „Die Pflanze besteht aus einer mächtigen Knolle, die regelmäßig ein einziges, riesiges Laubblatt bildet, das in seiner Gestalt an einen kleinen Baum mit schirmförmiger Krone erinnert. Der lange Blattstiel besitzt weiße Flecken, um Flechtenbewuchs vorzutäuschen.“ Dann wird es freilich stark wisschenschaftlich und führt weit weg vom romantischen Rosen- oder Hollerduft, der dieser Tage selbst in den Städten immer wieder die Riechkolben des Gehirns erfreut: „Ist die Knolle groß genug, wird ein stark übelriechender Blütenstand gebildet, der als die größte Blume der Welt gilt.“ Die Titanenwurz sei in botanischen Gärten selten, da die riesige Knolle ausgesprochen empfindlich sei und leicht von Fadenwürmern (Nematoden) befallen werde. Das Aronstabgewächs wurde 1878 entdeckt, seither haben 122 Pflanzen in Botanischen Gärten geblüht
Das eigentliche Blütenspektakel dauert nur drei Tage. Wir zitieren wörtlich: „Die Pflanze ist ein Nachtblüher und im Laufe eines Nachmittags wird sich ein großes Hochblatt (Spatha) öffnen, welches den großen Kolben (Spadix), einem hochfliegenden Rock gleichend, umgibt. Die Titanenwurz gibt besonders am ersten Blühtag bzw. der ersten Blühnacht einen intensiven Aasgeruch ab. Im Laufe des zweiten Blühtages wird sich das Hochblatt ganz langsam schließen. Im Laufe des dritten Tages ist das botanische Schauspiel vorüber: Der Blütenstand beginnt zu welken und der Kolben knickt um.“
Der Botanische Garten der Universität Salzburg erhielt die Knolle als Geschenk aus dem Palmengarten Frankfurt. Sie stamme aus „Meristemgewebe“ (Gartlerinnen und Gartler werden das kennen, die anderen bitte googlen oder noch besser in ein gutes botanisches Lehrwerk schauen) von einer Pflanze aus Sumatra aus dem Jahr 1992. Der Stammbaum ist lupenrein: „2006 wurde die Knolle von in vitro-Kultur in Erdkultur verpflanzt. Im November 2012 wog die Knolle 4,38, im April 2016 bereits 12,8 Kilo. Am 4. Juni 2016 hatte sie ihre erste Blüte, der Blütenstand war 1,86 Meter hoch. Im April dieses Jahres wog die Knolle vierzig Kilo. „Seit dem 21. Mai steht die Knolle hier in Salzburg und die Wissenschaftler warten jetzt gespannt auf die Blüte.“
Wann diese ihren Auftritt hat, ist nicht ganz genau abzuschätzen. „Es wird etwa noch zwei bis drei Wochen dauern“, sagt Professor Stefan Dötterl vom Fachbereich Biowissenschaften und Leiter des Botanischen Gartens der Universität Salzburg. Der Blütenstand betrage derzeit bereits einen Meter und wachse im Moment etwa fünf Zentimeter pro Tag. „Man kann der Pflanze praktisch beim Wachsen zusehen.“ Die Blühphase selbst wird rund zwei Tage dauern. Die Wissenschaftler fiebern dem Ereignis entgegen. „Es ist fast wie eine Geburt.“