Geheimaktion T4
HINTERGRUND / NS-ZEIT / EUTHANASIE
19/02/18 Anna Bertha Königsegg: ein klingender Name in der Gruppe jener, die sich beherzt der Euthanasie im Dritten Reich entgegen stellten. Für das Projekt „Stolpersteine Salzburg“ recherchiert der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer unermüdlich Biographien.
Von Gert Kerschbaumer
Im März 1947 erschien ein Zeitungsbericht über Krankenmorde und die beispiellose Zivilcourage der Ordensfrau Anna Bertha Königsegg unter dem Nationalsozialismus:
… Unter den schwersten Strafandrohungen war seinerzeit die Aktion »Vorverlegung des Todes« [Geheimaktion T4] durchgeführt worden. Wohl murrte das Volk, wehklagten die Angehörigen. Aber von Seiten der ärztlichen Wissenschaft kam keine warnende Stimme gegen diese brutale Verhöhnung der Menschenrechte. Lediglich eine Klosterfrau, die Visitatorin der Barmherzigen Schwestern in Salzburg, Gräfin Königsegg, wandte sich in einem mannhaften Schreiben an den Reichsverteidigungskommissar [Gauleiter Friedrich Rainer] im Wehrkreis XVIII. Sie wurde dafür eingekerkert und aus dem Lande verwiesen. Karl Engl (Salzburger Nachrichten, 11. März 1947, S. 3)
Erst im Jahr 1988, fünfzig Jahre nach dem vielumjubelten „Anschluss“ Österreichs, erweist Salzburg der einzigartigen Frau, die den Herren des Nazi-Regimes die Stirn bot, die Ehre des Nachruhms: Anna-Berta-Königsegg-Straße im Stadtteil Gnigl – eine 35 Meter lange Sackgasse am Rande der Festspielstadt. Die Initiative dazu hatte allerdings ein Anrainer ergriffen, nicht der Gemeinderat der Stadt Salzburg. Ihre Straßen und Plätze hatten außerdem schon präsentable Namensgeber, darunter etwa 45 Männer mit verheimlichten oder verharmlosten Karrieren während der NS-Herrschaft. Doch wen – außer der Forschung – interessiert das heutzutage?
In der Öffentlichkeit ist gegenwärtig bloß ein Straßenschild umstritten: Josef-Thorak-Straße – ein prominenter Name, nicht zuletzt wegen des ihm zugeschriebenen Attributs „Hitlers Lieblingsbildhauer“ und daher in aller Munde. Zu beachten ist vielmehr, dass Hitler, der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges den Krankenmord anordnete, sein Ideal der Rassenlehre, den „gesunden arischen Menschentyp“, in Arno Brekers und Josef Thoraks Monumentalfiguren versinnbildlicht sah. Seit den 1950er Jahren sind Schaustücke Thoraks aus der Nazi-Ära im Kurgarten der Festspielstadt Salzburg zu bestaunen – wie lange noch?
„… die im Dunkeln sieht man nicht“ (Bertolt Brecht): kleine Leute, überdies Kranke, somit die Schwächsten der Schwachen und bislang viele Namenlose, zum Beispiel Josef Seebrunner, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Edmundsburg – zur gleichen Zeit wie Josef Thorak, der ebenfalls in dieser Salzburger „Besserungsanstalt“ Zögling war – von Kreuzschwestern betreut werden musste, anschließend jedoch Patient der Landesheilanstalt (jetzt Christian-Doppler-Klinik) in Salzburg war und seit 1928 Pflegling in Schwarzach im Pongau, in der vom Orden der Barmherzigen Schwestern des Heiligen Vinzenz von Paul geführten Anstalt Schloss Schernberg. Ihre Leiterin hieß Anna Bertha Königsegg.
Verbürgt ist außerdem, dass die Ordensfrau in ihrer Funktion als Visitatorin der Salzburger Ordensprovinz über den mörderischen Plan des NS-Regimes, Kranke und Arbeitsunfähige zu beseitigen, informiert war und dagegen mit viel Courage protestierte. Sie wusste, dass die Diagnosen der Euthanasie-Ärzte – „angeborener Schwachsinn“, „Schizophrenie“ et cetera – Todesurteile waren, und hatte daher ihre Schwestern instruiert, jegliche Mitwirkung an der Verlegung ihrer Pfleglinge zu verweigern. Ihren Schwestern gelang es sogar, 17 Schützlinge in Schernberg zu verstecken und somit ihr Leben zu retten. Anna Bertha Königsegg befand sich allerdings vom 16. April bis Mitte August des Kriegsjahres 1941 in Gestapo-Haft – zur Zeit der Todestransporte nach Hartheim bei Linz, damals „Oberdonau“.
Die Namen ihrer Pfleglinge aus Schernberg stehen auf der Todesliste vom 21. April 1941, darunter Josef Thoraks ehemaliger Mitbewohner in der Edmundsburg, ein arbeitsunfähiger und besonders gefährdeter Kranker, weil für ihn die öffentliche Hand zahlen musste: Josef Seebrunner, der laut Taufbuch Pfarrwerfen am 12. Juli 1889 als Sohn eines Eisenbahners in Schlaming bei Pfarrwerfen, im Wechselwächterhaus Nr. 42, dem damaligen Dienstort des Vaters geboren wurde und nach österreichischem Recht in Straßwalchen heimatberechtigt war, dort als Gemeindearmer galt. Josef Seebrunner zählte zu den 123 in Hartheim vergasten Kranken aus Schernberg.
Über die Mordmaschinerie ist wenig bekannt, doch dieses Wenige stammt aus den Händen der Mörder: ein Haufen Asche in runde Blechurnen gefüllt, auf ihren Deckeln eingestanzte Nummern, Namen, Geburts-, Todes- und Einäscherungsdaten – grässliche Fabrikate, welche die Deutsche Reichspost den Hinterbliebenen zuzustellen hatte, sofern ihre Adressen bekannt waren. Der Todesort Hartheim und die von seinem Mordpersonal erfundenen Todesursachen und Sterbedaten sind sogar in einigen Taufbüchern eingetragen. Selbst Pfarren in Landgemeinden konnten folglich Schlimmes erahnen. Wir wissen immerhin, dass Pfarrer Franz Dürnberger in Gnigl für einige Opfer Seelenmessen las, ehe der mutige Pfarrer nach Dachau deportiert wurde. Er überlebte, wurde aber für seine Zivilcourage nie gewürdigt.
Nicht zuletzt dank der Proteste hoher katholischer Geistlicher – die Ordensfrau Anna Bertha Königsegg wird zumeist verschwiegen – musste die nach der „Euthanasie“-Zentrale Tiergartenstraße 4 in Berlin benannte „Geheimaktion T4“ kurz nach dem Angriff auf die Sowjetunion abgebrochen werden. Fortan diente Hartheims Mordpersonal in den Vernichtungslagern.
Anna Bertha Königsegg, geboren am 9. Mai 1883 in Königseggwald (Württemberg), musste nach ihrer Freilassung im August 1941 den „Reichsgau“ Salzburg verlassen, in ihren Verbannungsort Königseggwald ziehen. Sie konnte erst im Befreiungsjahr 1945 in ihr Salzburger Ordenshaus Salzachgässchen 1-3 zurückkehren und starb hier 65-jährig am 12. Dezember 1948.
Gegenwärtig ist noch die Identität ihrer ermordeten Pfleglinge anhand der Tauf- und Geburtsbücher zu klären. Wir sind das sowohl den Opfern als auch der mutigen Anna Bertha Königsegg schuldig.