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Die Wahrheit im öffentlichen „Raum des Wahnsinns“

HOCHSCHULWOCHEN / ERÖFFNUNG

01/08/17 Mit einer scharfen Kritik an der Vereinnahmung der christlichen Kirchen durch die deutsche rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat die Münsteraner Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins aufhorchen lassen. Da werde „das Christentum für eine Ideologie der nationalen Abgrenzung gegen das Feindbild Islam“ instrumentalisiert.

Marianne Heimbach-Steins ist misstrauisch gegenüber Begriffen wie „christliche Leitkultur“ oder das „christliche Abendland“. Dies diene der „kollektiven Identitätsbehauptung“ mit dem Ziel, gesellschaftliche Vielfalt durch „behauptete Homogenität“ abzulehnen. Eine so festgeschriebene Identität sei jedoch „nicht christlich, sondern national konnotiert deutsch“, so die Theologin bei ihrem Vortrag am ersten Tag der „Salzburger Hochschulwochen“.

Einen Verstoß gegen das weitreichende Schutzrecht der Religionsfreiheit sieht die Theologin außerdem in dem von der AfD erhobenen „Kulturvorbehalt“ für die Geltung der Religionsfreiheit: Die Forderung, religiöse Praxis nur zuzulassen, wenn diese nicht dezidiert gegen die Grundlagen einer christlich-jüdischen Kultur verstoße, gleiche einem „Freibrief, nahezu jede öffentliche Ausübung muslimischer Frömmigkeit zu unterbinden“. Ein weltanschaulich neutraler säkularer Staat dürfe jedoch keine Religion in irgendeiner Form präferieren, erinnerte die Theologin.

Der Bonner Philosoph Markus Gabriel hat sich im Eröffnungsvortrag für eine Bekämpfung der letzten, wenngleich hartnäckigen Fragmente der Postmoderne ausgesprochen. Postmodern sei etwa die noch immer verbreitete Ansicht, dass Öffentlichkeit der Ort sei, wo nicht um die Geltung von Wahrheitsansprüchen gestritten, sondern wo Wahrheit an sich durch Konsensbildung verhandelt werde. Diesen Ansatz, der die deutsche Nachkriegsphilosophie und ihr gesamtes Nachdenken über Öffentlichkeit und Medien beherrsche und der mit dem Namen Jürgen Habermas verknüpft sei, gelte es zu überwinden. Nun sei ein „neuer Realismus“ gefragt, forderte Markus Gabriel

Entscheidende Dinge würden verwechselt, erklärt Markus Gabriel. So gehe es im öffentlichen Diskurs schließlich nicht darum, Wahrheit und Wissen selbst zu verhandeln, sondern Wahrheits- und Wissensansprüche. Eben das mache einen großen Unterschied, denn ein Anspruch sei korrigierbar und widerlegbar, die Behauptung von Wahrheit indes nicht.

Der „neue Realismus“ mache geltend, dass es eine beschreibbare Wirklichkeit gibt, und über diese müsse gesprochen werden. Wo dies – wie im Fall der Postmoderne und ihrer letzten Vertreter – geleugnet werde, da sei dies zum Schaden nicht nur der Philosophie, sondern „zum Schaden der Menschen“.

„Öffentlichkeit“ ist heuer Thema der Salzburger Hochschulwochen vor rund 700 Teilnehmern. Erzbischof Franz Lackner würdigte das Ringen um Öffentlichkeit und Dialog als ein „ehrliches Interesse, die Wahrheit zum Durchbruch zu bringen“. Dies sei ein „uraltes Anliegen der Menschheit“ und dürfe auch heute nicht aufgegeben werden. Zugleich gelte es allerdings zu beachten, dass Wahrheit, die in Öffentlichkeit drängt, stets „dialogisch“ und damit „essenziell angewiesen auf ein ehrliches Gegenüber“ sei. Gesellschaft wie auch Kirche würde indes daran kranken, diesen dialogischen Charakter zu wenig zu beachten, zeigte sich Lackner überzeugt.

Landeshauptmann Wilfried Haslauer äußerte sich in seinem Grußwort skeptisch, ob gerade angesichts der rasanten Entwicklung der Online- und Sozialen Medien ein normativer Begriff von Öffentlichkeit überhaupt noch aufrecht erhalten werden könne. Es herrsche ein allgemeiner Voyeurismus und ein gleichzeitiger Rückzug des Individuums in die „private Komfortzone“, ein „digitales Biedermeier“. Selbst seriöse Medien täten sich zusehends schwer, dem Sog der „Postfaktizität“ und dem Drängen nach bloßer Emotionalisierung im Netz zu entgehen.

Der Obmann der Hochschulwochen, Martin Dürnberger, verwies seinerseits auf die enge ideengeschichtliche Verzahnung von Aufklärung, Vernunft und Öffentlichkeit. „Öffentlichkeit und Vernunft sind kommunizierende Gefäße. Darin liegt ihr Humanitätsversprechen: dass sich das je bessere Argument durchsetzen“ werde und dies zu einem Wachstum der Humanität führe. Tatsächlich mache es die rasante mediale Entwicklung zunehmend schwer, diesem Versprechen Glauben zu schenken, so Dürnberger: „Das Internet ist kein egalitärer 'Space of reason' mehr, sondern ein digitaler Raum des Wahnsinns.“ Diese Entwicklung lasse auch die Kirche nicht kalt, da Kirche zuvorderst ein Kommunikationsgeschehen sei. (HW/Henning Klingen)

Die „Salzburger Hochschulwochen“ dauern noch bis 6. August – http://www.salzburger-hochschulwochen.at
Bilder: Salzburger Hochschulwochen / Visvaldas_Grauslys (1)

 

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