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Te saxa loquuntur

IM WORTLAUT / KARL-MARKUS GAUSS

07/07/17 Über lobende Felsen, sprechende Häuser, Geschichten hinter Gebäuden und über das Wesen der Karikatur: Karl-Markus Gauß über den Zeichner, Karikaturist en und Fremdenführer Maroine Dib, dem derzeit eine Ausstellung in der Säulenhalle im Alten Rathaus gilt.

Von Karl-Markus Gauß

Mit den folgenden Bemerkungen möchte ich mich weder um Aufnahme in die Reihen der Salzburger Fremdenführer bewerben noch eine Dissertation über den Architekten, Bühnenbildner, Karikaturisten Maroine Dib beginnen. Auch wenn beides reizvoll wäre! Was Stadt und Land Salzburg betrifft, habe ich einmal geschrieben, dass ich über manch andere Region in Europa besser Bescheid wisse als über meine eigene Heimat. Das war zwar schon damals kräftig übertrieben, aber gleichwohl würde es mir nicht geschadet haben, wenn ich mir vor zwei, drei Jahrzehnten einmal gründlich all den heimatkundlichen Stoff angeeignet hätte, den die rund 200 Frauen und Männer beherrschen müssen, die ihrer Arbeit in Salzburg offiziell als sogenannte „staatlich geprüfte Fremdenführer“ nachgehen. Erst recht die acht von ihnen, die sich 2011 nach einem Straßenfest in der Steingasse zusammen schlossen, um eine ausgezeichnete Idee weiter zu verfolgen, wissen viele Salzburger Dinge, die ich gerne aus Eigenem wüsste. Aber man muss ja nicht alles selber erforschen und kann sich stattdessen jeden dritten Samstag im Monat von der Gruppe unterrichten lassen, die ihrer Idee den sprechenden Titel „Sprechende Häuser“ gegeben hat.

Verlässt man die Altstadt in westlicher Richtung, ist über dem Neutor am Felsen nicht nur das Wappen des Erzbischofs Sigismund von Schrattenbach zu sehen, sondern auch ein Spruch, den er dort anbringen ließ: Te saxa loquuntur. Seitdem ich ihn als Gymnasiast entdeckte, habe ich ihn mir mit meinen gar nicht so schlechten Kenntnissen des Lateinischen doch gewohnheitsmäßig falsch übersetzt und gemeint, er bedeute: Die Steine erzählen dir! Erst vor wenigen Jahren wurde ich belehrt, dass der Erzbischof, in dessen Regentschaft der Bau des Sigmundstors fiel, sich mit diesem Satz nicht auf die Nachgeborenen und also auch auf mich, sondern auf sich bezogen hat: Dich erzählen die Steine, also: mich, den Erzbischof, wird dieser Durchstich durch den Mönchsberg, der die gedrängte Stadt gewissermaßen hinaus ins Freie führt, für alle Zeiten preisen.

Im Projekt „Sprechende Häuser“ fällt beides zusammen, die korrekte und die falsche Übersetzung des Satzes. Die Fremdenführer und Fremdenführerinnen, die seit sechs Jahren besondere private und öffentliche Häuser auswählen, um sie den Salzburgern zu öffnen, gehen zum einen davon aus, dass diese Häuser ihre Geschichte selbst erzählen, wenn man sie nur zum Sprechen bringt, indem man sie aufsucht und sich über sie kundig macht; und sie möchten, dass diese Häuser zu uns und in gewissem Sinne auch über uns als Salzburger sprechen, wenn sie wieder einmal an einem Samstag eine Schar von rund zweihundert Einheimischen durch Alt-Schallmoos führen oder sie einladen, die Schatz-Passage mit anderen Augen sehen zu lernen. Das Besondere an dieser Art von Stadterkundung ist, dass wir nicht vor Häusern darüber unterrichtet werden, was es mit diesen auf sich habe, sondern in diese Häuser geführt werden, ins Innere von Gebäuden, die man als Salzburger seit Jahrzehnten von ihrer Fassade her kennen mag, ohne je die Gelegenheit gehabt zu haben, hinter diese zu blicken.

Von Anfang an gehörte Maroine Dib zu der Gruppe, die die Häuser zum Sprechen bringt, nicht nur als Fremdenführer, sondern eben auch als Zeichner und Karikaturist, der für jede neue Folge der Serie von Hausentdeckungen und Hausführungen ein Plakat entworfen hat. Wer ist dieser Mann aus der Fremde, der unsere Stadt so gut kennt, dass er sie nicht nur den Fremden, sondern auch jenen Einheimischen erklären kann, die an der unbekannten, der hinter Türen und Mauern verborgenen Geschichte Salzburgs interessiert sind?

Maroine Dib wurde 1949 in Latakia in Syrien als Sohn eines syrischen Vaters und einer polnischen Mutter geboren, hat das Gymnasium als Internatsschüler im Libanon absolviert und ist dann nach Paris gegangen, um Architektur und Stadtplanung zu studieren. Nach Salzburg ist er 1978 der Liebe wegen gekommen, nicht wegen der Liebe zu Salzburg, sondern zu einer Salzburgerin, mit der er es seit vorletzter Woche – wenn ich eine Generation überspringen darf, obwohl auch sie daran nicht unbeteiligt ist,– mittlerweile auf fünf gemeinsame Enkelkinder gebracht hat. Er hat schon als Jugendlicher Karikaturen in der Schülerzeitung veröffentlicht, seit seinem fünfzehnten Lebensjahr für die französischsprachige Zeitung „L´Orient“ in Beirut gezeichnet und später in Paris mit Freunden eine Zeitschrift herausgegeben, die Westliches und Östliches, dadaistische Kunst und arabische Poesie verband. In Salzburg hat der diplomierte Architekt auch noch Bühnenbild studiert und bei den Festspielen als Assistent von Jean-Pierre Ponnelle gearbeitet.

Wo immer Maroine Dib gelebt und womit immer er seine Existenz bestritten hat, stets hat er gezeichnet. Ich denke mir, der genuine, geborene Karikaturist zeichnet nicht nur deswegen, weil er es kann, sondern auch weil das Zeichnen für ihn jene Form ist, in der er die Menschen wirklich kennen lernen kann. Noch in der bösartigen Karikatur, der sich Maroine Dib übrigens strikt enthält, wird ja ein Zug des Karikierten aufgedeckt, der von der Rolle, die er zu spielen pflegt, verborgen wird. Das ist es, was Maroine Dib, den Fremdenführer der „Sprechenden Häuser“, und Maroine Dib, den Karikaturisten, verbindet. Beide schauen sie hinter die Fassade, des Hauses, das man zu kennen glaubt, weil man schon Hunderte Male daran vorbeigegangen ist, und des Menschen, den man zu kennen glaubt, weil man Hunderte Fotos von ihm gesehen hat. Es ist das Versteckte, Verborgene, das es Maroine Dib in seinen beiden Professionen angetan hat, er lässt die Häuser sprechen, die sonst stumm blieben, und er lässt die Gesichter sprechen, die sonst brav aufgesetzte Miene wären.

Es ist nicht die Aufgabe des Karikaturisten, dem Karikierten jenen Spiegel zu bieten, in dem sich dieser als der Schönste im ganzen Land erkennen zu dürfen meint. Es zeichnet interessante Karikaturisten aber auch nicht aus, dass sie in jedem Antlitz die Fratze entdecken und den Menschen mit seinem Widerspruch eindimensional auf das Hässlichste reduzieren, das er zu bieten hat. Vielmehr hebt der Karikaturist einen Zug des Charakters, der Haltung, des Aussehens hervor, in dem sich ihm das Wesentliche eines Menschen zu verdichten scheint. Bei einer gelungenen Karikatur geht es also nie darum, dass man den Karikierten bloß wiedererkennt, sondern dass man etwas von ihm erkennt, das man vorher nicht wahrgenommen hat. Das anerkannten und akzeptierten auch fast alle der zahlreichen Künstler, die Maroine Dib, der an verschiedenen Opernhäusern tätig war, in über dreißig Jahren karikiert hat. Viele haben ihn wissen lassen, wie sehr sie seine Arbeit schätzen, und Zuspruch erhielt er auch von einigen der Größten seines Faches, etwa von dem italienischen Zeichner Tullio Pericoli. Dieser hat seinerseits ein treffendes und dabei überaus charmantes Bildnis geschaffen, das Maroine Dib als den verschmitzten Weisen zeigt, der er ist.

Es mag mit einer Eigenschaft zu tun haben, von der ich eitel gerne behaupte, sie wäre bei mir nicht sonderlich ausgeprägt, nämlich mit der Eitelkeit, dass mir der Zyklus, den Maroine Dib über Stefan Zweigs Routen durch Salzburg geschaffen hat und bei der er auch mich einmal dessen Wege kreuzen lässt, besonders lieb ist. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass Dib hier für einmal seine ureigene Welt, die von Sängerinnen, Dirigenten, Regisseuren bevölkert wird und große Oper wie kleines Ränkespiel in einem ist, verlässt und sich der Literatur, den Schriftstellern zuwendet.

Der Literatur gilt eine geheime Liebe von Maroine Dib, und indem er zeichnet, erzählt er ja selbst bereits Geschichten. Das ist nicht verwunderlich, ein anderer großer Kollege von ihm, Paul Flora, ist von seinen Freunden, den Schriftstellern, des öfteren als Zeichensteller charakterisiert worden, und genau so verhält es sich auch mit dem Mann, der Einheimischen etwas über ihre Stadt, die längst auch die seine ist, berichten kann und zeichnend zu erzählen weiß: mit Maroine Dib.

Der Text ist die Eröffnungrede zur Ausstellung über Maroine Dibs „Sprechende Häuser“, zu sehen bis im Alten Rathaus bis 21. Juli – www.stadt-salzburg.at Karikaturen von Maroine Dib: www.mdib.at
Bilder: Maroine Dib

 

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