Kicken und Laufen
GLOSSE
Von Reinhard Kriechbaum
13/06/14 Seit gestern Donnerstag (12.6.) blickt also, wenn’s wahr ist, alle Welt wie gebannt auf Brasilien. Nicht auf den Regenwald und andere Dinge, über die man sich dort Sorgen machen könnte, sondern auf jeweils zwei Elfergruppen, die einem Ball nachrennen.
Was war das doch für eine Stimmung, als es in Salzburg zu solchen Anlässen noch Public Viewing gab, als Outdoor-Verlockung für jene, die sonst als Couch potatoes ein kümmerliches Dasein vor dem Fernsehschirm fristen. (Verzeihen Sie unsere Ausdrucksweise, aber es geht diesmal nicht ohne Neudeutsch.)
Wegen der nächtlichen Übertragungszeiten aus Brasilien wird das also heuer nichts mit dem Screening auf den Altstadtplätzen. Das sehen wir ein. Wird Salzburg also in den nächsten Wochen zur sportlichen Wüstenei verkommen? Glücklicherweise nein. Da ist schon überall der „Salzburger City Trail“ plakatiert. Wir übersetzen laut Langenscheidt: Schleppe, Schweif, Schwanz (Meteor), Rauchfahne, Spur, Fährte – halt, da haben wir’s: „(Trampel)pfad“! Das wird es sein. Um die Bustouristen, die sich aus dem Nonntal oder von der Wolf-Dietrich-Straße her schwitzend ins Weltkulturerbe schieben, um die wird’s gehen beim „Salzburger City Trail“.
Aber eine Zeitungsgeschichte hat uns dieser Tage verunsichert bei unseren unbeholfenen Übersetzungsversuchen. Die Sache muss doch mit leichtfüßiger Fortbewegung zu tun zu haben. Ein Fitnesstrainer hat in den SN aus dem Nähkästchen, pardon, aus dem Laufstall geplaudert: „Das ist eine hochinteressante Strecke, die Altstadtgassen mit den vielen Richtungsänderungen und den engen Durchgängen verlangen einiges ab. Dazu kommen die wechselnden Bodenbeläge. Und im gemächlichen Tempo nimmt man die Schönheit der Bauwerke so richtig wahr.“
Ja, sportives Hakenschlagen im Bereich der Durchhäuser, selektives Staubaufwirbeln auf dem Residenzplatz. Dies für die Hardliner. Für unsereinen heißt eher: Trippeln in gemächlichem Tempo. Dass das nicht längst im Baedeker steht als optimale Fortbewegungsart im Städtetourismus! Endlich ginge was weiter in der Getreidegasse. Kurzes Innehalten mit Dehnübungen vor Mozarts Geburtshaus sollten trotzdem drin sein. Die obligate Runde durch den Dom sollte sich vom statistischen Durchschnittswert von dreieinhalb Minuten locker auf knapp unter anderthalb drücken lassen. Der künstlerische Wahrnehmungsfaktor würde sich, Dank der Endorphine und der optimalen Fettverbrennung, auf optimalen Werten einpendeln.
Jene, die sich am 4. Juli für den Lauf in den Altstadtgaragen entscheiden, haben aber wenig kulturellen Mehrwert zu erwarten. Dafür dürfte dort biologisch alles palletti sein. Der Lauf-Apostel in den SN: Sportler schätzten im Berginneren die konstante Temperatur von 15 Grad – und die Luft sei „als CO2-neutral zertifiziert“.
Über die Sache mit dem Kohlendioxyd müssen wir uns noch den Kopf zerbrechen. Wir erleben ja immer nur den kurzen Moment, da sich die Zum-Auto-Läufer mit den Motor-Anstartern schlagen. Da kommt die zertifizierteste CO2-Neutralität in Schieflage. Aber diese stabile Kühle! Die empfinden auch wir als wohltuend, wenn wir wieder mal den ungesunden, von jeder Zertifizierung unbelasteten Musentempeln im Festspielbezirk entronnen (seltener: entrannt) sind.