Auf dem Kopf oder im Kopf?
GASTKOMMENTAR
18/12/13 Von wegen Wissenschaft als „eigenständiges Ministerium“: Barbara Wicha rückt angesichts der rundum heftig ausgetragenen Proteste gegen die vermeintliche Auflösung des Wissenschaftsministeriums manche Dinge zurecht. So eigenständig war dieses Ministerium bisher auch nicht. – Was aus der Sicht der Salzburger Politologin weit schwerer wiegt: Dass Wissenschaft und Forschung im Regierungsprogramm bestenfalls unter dem Aspekt der Nützlichkeit thematisiert werden.
Von Barbara Wicha
„Es kommt nicht drauf an, was wir auf dem Kopf haben, sondern was wir im Kopf haben“: So die libyschen Frauenaktivistin Magdoulin Obeida über westliche Kopftuchdebatten (nachzulesen bei Karim El-Gawhary). Daran erinnern mich die aktuellen Demonstrationen und Proteste, weil es angeblich künftig kein „eigenständiges Wissenschaftsministerium“ geben soll, es wird „abgeschafft“ (Standard). Unis beflaggen schwarz, Studenten und Professoren gehen auf die Straße, an den Bundespräsidenten wurde mit höchster Rektorenautorität (erfolglos) appelliert, diese Regierung nicht anzugeloben. Die Opposition im Parlament hatte ihren großen Tag… Dagegen der designierte Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner: Es bleibt alles im Ministerium unverändert, nur das Türschild ändert sich. Also das, was wir „auf dem Kopf haben“…
- Faktum 1 ist, dass Bruno Kreisky im Jahr 1970 ein eigenes BM für Wissenschaft und Forschung neben einem BM für Unterricht und Kunst eingerichtet hat. Ein Signal für den Zugang aller zur höheren Bildung - ohne Studiengebühren. Hertha Firnberg, die dieses Ministerium bis zu ihrem Tod 1983 geleitet hat, verordnete den Universitäten dann noch Demokratie: Drittelparität im UOG 1975.
- Faktum 2 ist, dass das „eigenständige Ministerium“ nach außen unter Rudolf Scholten zweimal verändert wurde: Einmal durch die Hinzufügung der Kunst-Agenden (1994), dann 1996 – etwas verblüffend für alle – durch die Agenda Verkehr. Das Wort Forschung entfiel übrigens! Sein Nachfolger, Caspar Einem, musste die Kunst abgeben und war von 1997 bis 2000 BM für Wissenschaft und Verkehr. Auswirkung für die Universitäten: Null. Auch keine internationale Peinlichkeit, wie man sie jetzt befürchtet.
- Faktum 3 ist, dass es offensichtlich nicht darauf ankommt, was man „auf dem Kopf hat“ (Türschild), sondern welcher Intention der/die Ressortchef/in und die Beamten sind, also „im Kopf“ haben. Ich unterdrücke jeden Kommentar: Die schwarz-blaue Regierung ging auf die Zeit vor Kreisky zurück und schuf 2000 ein gemeinsames Ministerium mit Elisabeth Gehrer als „Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur“… Erst 2007 errichtete Alfred Gusenbauer dann wieder das BM für Wissenschaft und Forschung.
- Faktum 4 zeigt ein ähnliches Schicksal für die Kunstagenden: im Unterrichtsministerium unter Fred Sinowatz, ab 1994 im Wissenschaftsministerium, dann ab 1997 angeblich Chefsache, von 2000 bis 2007 als Sektion II ins Bundeskanzleramt (unter Staatssekretär Franz Morak, dessen Lieblingsprojekt die „Kreativwirtschaft“ war, von der Kritik als Berlusconisierung der Kultur apostrophiert) und zuletzt unter Claudia Schmied wieder im Unterrichtsministerium.
- Faktum 5 ist, dass sich jetzt wohl kaum etwas ändern wird, es muss nicht einmal „um- oder eingefärbt“ werden, bleibt es doch in „schwarzer“ Hand. Wie sagte ein Beamter: „Mir ist egal, wer unter mir Minister wird“.
- Faktum 6 ist, dass die meisten Universitäten auf der Suche nach Drittmitteln keinerlei Scheu haben, sich der Wirtschaft anzudienen – weshalb also jetzt das Entsetzen?
Mich irritiert etwas anderes viel mehr: Die „Handschrift“ des 112-seitigen Arbeitsprogramms der neuen Bundesregierung. Dieses zeigt tatsächlich einen massiven Einfluss jener, die Wissenschaft und Forschung (S. 44-46, 29-31) unter dem Aspekt der Nützlichkeit sehen: Kaum Vorschläge für die Unis, aber Ausbau der Fachhochschulen, um nur ein Beispiel zu nennen. Außerdem schien den Autoren des Arbeitsprogramms „Kunst und Kultur“ (abgehandelt auf zwei bescheidenen Seiten, S. 46-47) kein zentrales Anliegen. Vorsorglich ist jedoch die „Familienpolitik“ (S. 24-26) prominent positioniert.
Wenn das Beiwort -politik auf Gestaltungswillen hindeutet, dann empfiehlt sich eine Analyse des Textes: es finden sich Arbeitsmarkt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, Kapitalmarkt-, Haushalts-, Datensicherheits-, Personalpolitik. Weiters Anti-AKW-Politik, Erweiterungspolitik, Nachbarschaftspolitik, die pro-aktive Amtssitzpolitik, Cyber-Außenpolitik. Und dann natürlich Außen- und Sicherheitspolitik, Friedenspolitik, Unterstützungspolitik. Hinzu kommen die Energie-, Umwelt-, Sozial-, Behinderten-, Personal- und Medienpolitik und die erwähnte Familienpolitik. Statt von Frauenpolitik liest man dann etwas von Gleichstellungspolitik. Konzentriert auf den ländlichen Raum findet sich zweimal Forschungs- und Innovationspolitik. Eine geradezu lyrisch Verbeugung vor der Jugend: Die Jugendpolitik (S.26) ist angeblich die einzige „Querschnittsmaterie“! Ich wüsste jedenfalls mehrere.
Was man auf den 112 Seiten nicht findet: Kulturpolitik, Wissenschaftspolitik oder Bildungspolitik. Der Verdacht, dass Kultur ebenso wie Wissenschaft unter der Nützlichkeit und Brauchbarkeit für die Wirtschaft gesehen werden, liegt nahe (Anwendungsorientierung der Forschung). So positiv das Bekenntnis zur Zeitgenössischen Kunst, zum Wunsch nach besseren Rahmenbedingungen für KünstlerInnen und zum kreativen Schaffen und der Kulturvermittlung auch sein mögen (S. 48f), es bleibt hinsichtlich der Maßnahmen vage. Es mag sinnvoll sein, sich für die Verankerung von Kunst und Kultur in EU-Prozessen und EU-Programmen einzusetzen (S. 49) – aber eine stärkere Verpflichtung zur Förderung zeitgenössischen Schaffens auf Gemeinde- und Landesebene wäre für das Kulturleben im Land nachhaltiger.
Österreich als Kunst- und Kulturland international zu positionieren, ist blanke Ankündigungsrhetorik. Von einer gezielten Förderung des kulturellen und kreativen Lebens an der Basis, im Unterricht aller Schultypen liest man weder im so genannten Kulturkapitel noch im Abschnitt „Bildung“. Dort finden sich – schon wieder im Interesse der wirtschaftlichen Nützlichkeit! – Hinweise auf moderne Technologien (S. 42) oder auf die tägliche Bewegungseinheit (S.43) in den Schulen. Angesichts dieser Passagen überraschen die vielen Vorschusslorbeeren, die einige Kulturschaffende dem künftigen Ressortchef, Josef Ostermayer, gespendet haben. Darunter möglicherweise auch jene, die offenbar ohne erkennbaren Protest hingenommen hatten, dass Kunst bei jeder der letzten Regierungsbildungen zur Verschubmasse degradiert wurde.
Nicht die Bezeichnung eines Ministeriums, sondern das, was offen auf 112 Seiten publiziert wurde, ist das eigentliche Ärgernis. Das wäre es tatsächlich wert, auf verschiedenen Bereichen – von der Nicht-Frauenpolitik über die Nicht-Kulturpolitik bis zur Nicht-Wissenschaftspolitik - und in allerlei Formen politisch aktiv zu werden!