Im Orchestergetriebe und -geschiebe
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
28/08/12 Es gibt eine Jahreszeit, da kommt Bewegung ins Musikleben. Nicht in dem Sinn, dass nun viele besonders selten gespielte Werke einstudiert würden oder urplötzlich alle ihre Liebe für die zeitgenössische Musik entdeckten. Es geht in diesen Tagen – wie jedes Jahr – vor allem ums Sammeln von Bonus-Kilometern.
Die Dame, die Franz Welser Möst und sein Cleveland Orchestra PR-mäßig vorwärts bringt, hat es natürlich gut gemeint, als sie vorab gleich den ganzen Tourneeplan in die Redaktionen mailte. Was die Salzburger Festspiele betrifft, bringt so etwas unsereinen freilich nur auf blöde Gedanken: Man wird wieder einmal mit der Nase drauf gestoßen, was man ohnedies weiß. Wenn die Festspiele zu ihrem Ende zum großen Orchesterkonzert-Halali blasen, dann sind das Ergebnis keine Blattschüsse der exklusivsten Sechzehnender.
Man braucht sich als Festspiel-Impresario bloß einzuklinken ins Tournee-Hamsterrad. So ungefähr mit 20. August kehren die Musiker wieder aus dem Urlaub zurück, und bevor es am jeweiligen Heimatort losgeht mit Abonnementkonzerten oder mit dem Opernbetrieb, fährt man noch schnell fort. So halten es viele und viele "Große". Am Beispiel Cleveland Orchestra mit Franz Welser Möst sieht das so aus: Die “2012 European Festival Tour” hat am 21. August begonnen, mit je zwei Konzerten beim Edinburgh International Festival und beim Lucerne Festival. Glück gehabt, denn obwohl der Pianist Krystian Zimerman in Salzburg wie gewohnt abgesagt hat (heuer zwei Mal, 2010 auch schon), hat man gleich ein für Luzern entstandenes neues Werk von Matthias Pintscher parat. Das lässt man nun eben auch in Salzburg hören. Nach den beiden Salzburg-Abenden geht es für die Amerikaner gleichsam ums Hauseck weiter: nach Sankt Florian und nach Grafenegg. Nur der Abstecher zum Musikfest Stuttgart hinterlässt zwischendurch noch einen etwas größeren ökologischen Fußabdruck.
Ein wenig anders ist die Route des London Symphony Orchestra, das jüngst unter Gergiev in Salzburg war. Das Rheingau Music Festival, das Menuhin Festival Gstaad, die Sagra Musicale Malatestiana, das Merano Festival, Verona, das Musikfest Berlin, das Beethovenfest Bonn und Basel stehen auf dem üppigen Tourneeplan.
Das Gewandhausorchester Leipzig kommt auch ziemlich weit herum Ende August/Anfang September: nach Helsinki, Vilnius, London, in Österreich neben Salzburg auch nach Grafenegg – und natürlich zum Lucerne Festival, das bis zum 15. September sowieso der eigentliche Orchester-Nukleus in der Mitte Europas und in der Mitte des Produzierens von Musik und Verdienens von Noten ist. Das Concertgebouworchest Amsterdam unter Mariss Jansons – vergleichsweise bescheiden unterwegs – spielt bloß daheim bei sich in Amsterdam, und eben in Salzburg und in Luzern. Dafür immer die „Erste“ von Mahler und das Bartok-Violinkonzert mit Leonidas Kavakos.
Auch das Orchestra e Coro del Teatro alla Scala packt nicht einzig für Salzburg die Koffer, Barenboim leitet das Verdi-Requiem morgen Mittwoch (29.8.) auch in Luzern. Und nicht zu vergessen: Mit ein wenig Respektabstand zu Salzburg lassen sich auch die Wiener Philharmoniker beim Lucerne Festival drei Mal hören.
Irgendetwas hat man in Salzburg aber falsch gemacht: An den Reisen des City of Birmingham Symphony Orchestra, die Münchner Philharmoniker (unter Lorin Maazel) und das hauseigene Lucerne Festival Academy Orchestra (immerhin unter Pierre Boulez) nascht man nicht mit. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Alexander Pereira die Festspiele partout nicht in den Herbst hineinziehen darf.
Und gelegentlich hat sogar Grafenegg die Nase vorn: Rotterdam Philharmonic und die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Thielemann wusste man sich dort für Österreich exklusiv zu sichern.
Was heißt all das für die Salzburger Festspiele? Kaufmännisch sind all die mit großen Namen lockenden Orchesterkonzerte eine sichere Sache, auch wenn ein paar Plätze oder gar Reihen leer bleiben sollten im Großen Festspielhaus. Teil im Orchestergetriebe und -geschiebe zu sein, bringt allemal einen ordentlichen Euro-Überschuss.
Wer nicht nur Ohren hat, zu hören, sondern auch Augen, zu schauen, der findet freilich gerade in diesen Tagen genügend andere Möglichkeiten, die Ensembles und Künstler seiner Wahl geographisch seinem jeweiligen Heimatort näher (und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sogar preisgünstiger) zu erhaschen. Und von Exklusivität redet in Salzburg Ende August sowieso keiner nicht mehr – es sei denn man meint die Pausenpromenade mit Festungsblick.