"Doch kein Medienhype!"
GASTKOMMENTAR
Von Hans Holzinger
25/07/11 Viele Journalistinnen und Journalisten haben in den letzten Monaten in unserem Büro angerufen. Sie wollten nicht wissen, was wir gegen den Welthunger unternehmen sollten. Sie interessierten sich allein für die Frage: Hält Jean Ziegler nun die „Gegenrede“ bei den Salzburger Festsspielen oder hält er sie nicht? Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es gar nicht um das Anliegen von Jean Ziegler ging, das auch das unsere ist, nämlich anzureden gegen die Barbarei des Hungers, sondern um den medialen Hype – „Festspielrede“ und „Gegenrede“, das gibt schon was her.
Als Ziegler dann in einem Offenen Brief an meinen Kollegen Walter Spielmann, Sprecher einer zivilgesellschaftlichten Plattform, die zur Gegenrede eingeladen hatte, seine Absage bekundet hat, war die Enttäuschung groß. Doch kein Medien-Hype! Begründet hat Ziegler seine Absage mit vielen internationalen Verpflichtungen.
In einem Kommentar wurde Ziegler gar vorgeworfen, dass ihn der Mut verlassen habe, es rhetorisch mit Joachim Gauck, dem nunmehrigen Festspielredner, aufzunehmen. Eine absurde Vorstellung bei einem Menschen, der Millionenklagen von Banken und Konzernen riskierte, weil er diesen unrechte Machenschaften vorwarf. Absurd auch, weil es Ziegler wohl nie um einen Rhetorikwettbewerb gegangen ist, sondern um sein bereits genanntes Anliegen. Das wäre wohl von der öffentlichen Erregung verdrängt worden.
Über 500 Menschen, darunter viele, die selbst in entwicklungspolitischen Gruppen tätig sind, haben im November 2008 in der Salzburger Residenz den Vortrag von Ziegler „Das Massaker des Hungers. Wo gibt es Hoffnung?“ gehört, den er anlässlich der Verleihung des Salzburger Landespreises für Zukunftsforschung gehalten hat (Ein Mitschnitt ist bei Robert-Jungk-Stiftung als CD erhältlich). Ich habe Ziegler damals als sehr liebenswerten Menschen kennen gelernt, der Zorn in der Sache entwickelt, etwa wenn es um das Diktat der multinationalen Konzerne über die Welt geht, die bestimmen wie Wirtschaft zu laufen hat. „Vergangenes Jahr haben die 500 weltgrößten Privatkonzerne 52,8 % des Welt-Sozial-Produkts kontrolliert. Derweil steigen in der südlichen Hemisphäre, wo 4,8 der 6,7 Milliarden Menschen der Erde leben, die Leichenberge“ (aus dem genannten Brief).
Dass er nun abgesagt hat, wird wohl damit zusammenhängen, dass er gerade diesen Medienrummel um die „Gegenrede“ nicht wollte. Was nicht heißt, dass Ziegler medienscheu sei – im Gegenteil, wenn es um sein Anliegen geht, weiß er durchaus mit diesen umzugehen!
Vielleicht war es auch ein Stück sozialdemokratischer Solidarität mit der Landeshauptfrau von Salzburg, die ursprünglich eine Einladung erwogen hatte. Schön wenn es eine solche Solidarität noch gibt in einer Welt voller Konkurrenz und Intrigen, gerade auch unter jenen, die besser zusammenhalten würden, um sich gegen globale Unrechtsstrukturen zu wehren.
Und wäre Ziegler tatsächlich der Festspielredner geworden, dann wäre das einzig Politische daran die Provokation des Establishment gewesen. Gepasst hätte es nicht. Jemand, der die Reichen meines Erachtens zu Recht angreift, hält vor diesen keinen Vortrag in einer Feierstunde – wenn dann stellt er sich einem offenen Streitgespräch. Denn ob viele der Anwesenden, wenn sie denn gekommen wären, seine Ausführungen wirklich angenommen hätten, ist zu bezweifeln. Damit soll nicht gesagt sein, dass an derlei Festspielen nur Reiche teilnehmen, auch wenn sie wohl die Überzahl ausmachen – oder sagen wir, in konzentrierter Form auftreten.
Wahrscheinlich wäre es ihm ergangen wie mit dem „Kultur beflissenen Publikum“, das Günter Anders in „Mensch ohne Welt. Schriften zur Kunst unter Literatur“ (1984) wie folgt beschrieben hat:
„Wenn das Konzertpublikum Schillers und Beethovens leidenschaftliche Behauptung, dass ‚alle Menschen Brüder’ werden, frenetisch beklatscht, dann will es damit nicht etwa seine effektive Bereitschaft kundtun, sofort die Hungernden in der Sahelzone oder Gefolterten in Argentinien brüderlich zu umschlingen, so brüderlich wie die besungenen ‚Millionen’. Damit würde es ja Kultur bereits politisieren, die gute Absicht (die ja sogar von unserem größten Klassiker als ‚verstimmend’ disqualifiziert worden ist), die würde die Beethovensymphonie stören, die Moral würde die Kunst besudeln. Die Konzertbesucher fraternisieren vielmehr nur ‚irgendwie’, nur so dürfen (sollen oder wollen) sie fraternisieren, und das bedeutet wiederum: unverbindlich, konsequenzenlos, risikolos und – genussreich.“ (Beck-Verlag, München 1984, S. XX)
Gerne würden wir uns eines Besseren belehren lassen – auch ohne Rede von Jean Ziegler. Das Kulturestablishment könnte eine Geste setzen, in dem alle Besucherinnen und Besucher der Salzburger Festspiele denselben Betrag, den sie für ihren Salzburgaufenthalt ausgeben, auch für die Ostafrika-Hilfe spenden. Das wäre noch nicht die Lösung, aber ein Schritt in die richtige Richtung, ein leises Aufflackern des „Aufstands des Gewissens“, von dem Jean Ziegler spricht.