Sein Name steht für Auseinandersetzung
„Das Raubgesindel des globalisierten Finanzkapitals“ – Diktion des spitzzüngigen Globalisierungsgegners Jean Ziegler vor knapp zwei Wochen in einem Kommentar, der in der „Presse“ erschienen ist. „Wenn die Reichen abmagern, sterben die Armen. Der Banken-Banditismus hat im Westen Millionen Arbeitslose geschaffen. In den Ländern des Südens jedoch tötet er. Laut Weltbank sind seit Ausbruch der Finanzkatastrophe mehrere Hundert Millionen Menschen zusätzlich in den Abgrund äußerster Armut und Hungersnot gestürzt worden.“ – Nun versichern alle Beteiligten, dass jene Finanzkapitalisten, die die Salzburger Festspiele fördern, gar nichts wussten von der Einladung Zieglers als Festspielredner. Aber seine Ausladung kommt ihnen gewiss so ungelegen nicht. Der Musikwissenschafter Univ.-Prof. Jürg Stenzl, etliche Jahre lang Vorsitzender des Salzburger Landeskulturbeirats, bricht eine Lanze für seinen Landsmann – und im Gegensatz zu manchen, die jetzt die Wörter ergreifen, hat er dessen Bücher auch gelesen …
GASTKOMMENTAR
Von Jürg Stenzl
03/04/11 Lange genug habe ich in der Schweiz gelebt, um Jean Zieglers Bücher zu lesen und um hautnah zu erleben, wie damit in der Schweiz (und wahrlich nicht nur dort) umgegangen wurde und wird. Viele dieser Bücher liegen in deutschen (und vielen anderen Übersetzungen) vor.
Jean Ziegler nahm nie ein Blatt vor den Mund und er hat sich jeder Diskussion gestellt. Er betrieb Kapitalismuskritik bevor die sogenannte “Wirtschaftskrise” auch nur dämmerte; er ist gleichzeitig der Autor des ergreifendes Buch über den Tod in unseren Überflussgesellschaften und der “Dritten Welt” (Les Vivants et la mort), nicht nur des Büchleins über die Schweiz, “die sauberer wäscht” und sich “über alle Zweifel erhaben” erachtet.
In „La faim dans le monde expliqué à mon fils“ hat Ziegler, was der Titel verspricht, auch eingelöst: wie ein idealer Lehrer einem Kind darlegen, wieso es so schrecklich viele Menschen auf dieser Welt gibt, die hungernd sterben müssen.
Dass man seine Analysen, seine Kritik, seine Polemik einfach übernehme, hat Jean Ziegler so wenig erwartet wie Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard.
Die Frage muss erlaubt sein, wer denn, wenn er oder sie sich über Jean Ziegler äußert, auch nur eines dieser Bücher zur Kenntnis genommen, vor allem aber, sich damit auseinandergesetzt hat? Denn Auseinandersetzung, Diskussion, das ist es, was ein Autor wie Jean Ziegler seit Jahrzehnten erhofft, wofür er mit seiner ganzen Person einsteht. Genau dieses Einstehen für eine Sache, für die eigene Überzeugung, auch wenn sie unangenehm ist, erwarten wir auch von einem Künstler.
Wenn das “Thema” der Salzburger Festspiele 2011 von Luigi Nono stammt erst recht! Dass es “keinen glaubwürdigen Weg für die Musik gibt, […] die übers bloße Musikmachen hinausreicht, und dass es nicht geht ohne den Willen und die Bereitschaft, für solche Gesinnung mit seiner ganzen Existenz einzustehen” – das hat vor 37 Jahren der Komponist Helmut Lachenmann als Kern des Künstlers Luigi Nono bezeichnet.
Vielleicht ist der Verdacht berechtigt, dass ein Text von Jean Ziegler, der vor wenigen Wochen im Spectrum, der Wochenendbeilage der Presse, erscheinen durfte, überhaupt erst die Idee einer Einladung nach Salzburg aufkommen ließ: „Die offene Rechnung“ ist er überschrieben, erschienen am 12. März 2011.