asdf
 

Aus der moralischen Anstalt

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

24/11/16 Als sich vor ziemlich genau einer Woche ein Personenkomitee pro Kulturhauptstadt 2024 zu Wort meldete, ging ein Gedanke durch so gut wie alle Wortmeldungen: In Zeiten wie diesen seien Kunst und Kultur mehr denn je gefragt, müssten sich meinungsbildend und charakterformend einbringen in die gesellschaftliche Debatte.

Im Text Positive Stimmen haben wird einige dieser Gedanken dokumentiert, die auf ein partizipatives Verständnis seligmachender kultureller Kräfte hinauslaufen. Man braucht wohl nur so viele Menschen wie möglich an die Kultur heranzuführen, sie zu einbeziehen in künstlerische Tätigkeiten – und schon kehren allgemeine Besinnung, gar flächendeckend politischer Verstand ein. Da fällt einem die schöne Formulierung „Theater als moralische Anstalt“ ein, die spätestens seit den Achtundsechzigern als etwas Abzulehnendes, ja: etwas höchst Verwerfliches galt.

Im neuen Landespreis für Kulturelle Bildung ist eigentlich nichts anderes angesprochen. Es haben ihn auch prompt Initiativen bekommen, die auf „Musik– und Theaterprojekte mit erzieherischem Charakter“ (so „Briding Arts – Lernen durch Kunst“) hinzielen beziehungsweise auf Aufdecken einer "sozialen Choreografie" aus sind („A Scripted Situation“).

Lobesame Vorhaben, überhaupt keine Frage. Aber könnte es sein, dass sich die Kunst gerade ziemlich überfordern lässt? Gibt es keine Kunst und Kultur im Orbán-Land? Schlafen die Künstler auf dem Trump-Kontinent? Haben wir es in Ungarn und Polen, im Le Pen'schen Frankreich oder im Deutschland der AfD derzeit mit einem kulturellen Multiorganversagen zu tun? Und: Bewegte sich nicht die Kunst und Kultur in der Donaumonarchie gerade in einer Hochphase, als der Erste Weltkrieg hereingebrochen ist? Haben die deutschen Expressionisten der Zwischenkriegszeit und ihre Kollegen von der Dicht- und Bühnenbranche nicht Missstände ganz zentral zum Inhalt ihrer Bildwerke gemacht? Den Aufstieg Hitlers haben sie weder einbremsen noch einen weiteren Weltkrieg verhindern können.

Ein gewisses Stirnrunzeln angesichts des Kultur-Optimismus ist jetzt also vermutlich angebracht, so partizipativ die Projekte auch sprudeln mögen und so sehr sie „Kopf, Herz, Hand und alle Sinne“ (Copyright Heinrich Schellhorn) noch so vieler Menschen ansprechen mögen. Kunst und Kultur sind derzeit unvergleichlich breiter aufgestellt als jemals in der Geschichte. Trotzdem klopft Hofer ans Hofburg-Tor.

Aber es stimmt schon, und das gilt für Künstlerinnen und Künstler ebenso wie für uns alle: Die Hoffnung stirbt zu allerletzt.

Zur Meldung Mit Kopf, Herz, Hand und allen Sinnen
Zur Dokumentation Positive Stimmen
Zum Bericht Nachdenken über ein Bürgerbegehren

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014