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„Winnetou war ein Krischt“

STICH-WORT

08/06/15 Der weiße Mann hat die Uhr. Wir haben die Zeit. So tickte Winnetou. Und weil ein toter Indianer bekanntlich ein guter Indianer ist – geht das geflügelte Wort eigentlich noch durch in unserer Zeit verfeinerter politischer Korrektheit? – deshalb also darf der Tod von Pierre Brice auch an uns nicht unbemerkt vorbei gehen.

Von Reinhard Kriechbaum

Als Nachrufer merkt man in einem solchen Fall, dass man in die Jahre gekommen ist: Unsereiner wundert sich gar nicht mehr, dass der legendäre Winnetou-Darsteller französischer Zunge, der unser Karl May-Bild so nachhaltig geprägt hat, noch gelebt hat. 86 Jahre alt ist Pierre Brice geworden. Nun ist er in der Nähe von Paris gestorben.

Nein, er war kein hochberühmter französischer Schauspieler. In seiner Heimat nahm man ihn eben so wenig zur Kenntnis, wie man dort Karl May kennt. Pierre Brice hat (vielleicht ein wenig halbherzig) versucht, das Winnetou-Image los zu werden. Aber wahrscheinlich wollte er das bald gar nicht. Einer, der das Indianer-Bild so nachhaltig in Generationen von (vorwiegend deutschsprachigen) Kinobesuchern eingeprägt hat, wäre nicht gut beraten gewesen mit einer Image-Kehrtwendung. Es war für ihn gut, mit sonnengegerbter Haut und tiefschwarzem Haar Winnetou zu sein. Und sei's als Arena-geeichter, jedenfalls sattelkundiger Schauspieler bei KarlMay-Festspielen in der deutschen Provinz, in Bad Segeberg und Elspe.

Wir haben die Uhr, also müssen sich die grauen Zellen bewegen. Wann hat der Schreiber dieser Zeilen eigentlich Pierre Brice als Winnetou das erste Mal auf der Leinwand gesehen? Es war keine Leinwand, sondern eine ganz große weiß gekalkte Mauer. Ein lauer Sommerabend in Lignano Pineta, wo man dazumals Urlaub machte. Mächtig stolz war krie  drauf, das erste Mal in einen So-gut-wie-Erwachsenenefilm gehen zu dürfen. So genau hat man es mit dem Jugendschutz nicht genommen damals in Italien, als das Wünschen noch geholfen und man für Cento Lire noch eine Riesenmenge Gelato auf die Tüte bekommen hat.

Da also ist Winnetou geritten, unter den silbersprudelnden Kaskaden der Seen von Plitvice im heutigen Kroatien. Ob im damals kommunistischen Yugoslawien schon damals die Politik Fördergeld hat springen lassen fürs ausländische Dreh-Team, auf dass die Destination via Kino international als Urlaubsziel bekannt werde (so wie man es in Tirol mit Bollywood und jetzt gerade in Salzburg mit „Sound of Music“ macht)? Ich wüsste nicht, wen ich danach fragen könnte.

Was sich damals neben dem braungebrannten Indianer Pierre Brice in meinen Kopf eingebrannt hat, war Lex Barker alias Old Shatterhand: So sieht also ein erfolgreicher deutscher Wildwestler aus! Wie dem Bildhauer-Atelier von Thorak, einem der Lieblings-Skulpturisten Hitlers, entsprungen. Interessant eigentlich: Ein solcher blauäugiger blondgelockter Beau ur-deutscher Herkunft hätte der Nachkriegsgeneration unglaublich verdächtig sein müssen. Aber dies war ganz gewiss nicht der Grund dafür, dass über den Plakaten von „Der Schatz im Silbersee“ oder den „Winnetou“-Serien die Warnung „Ab 14 Jahren“ klebte.

Vielleicht sollte man sich aus Anlass des Todes von Pierre Brice die damals entstandenen Filme über den Edel-Indianer Winnetou nochmal aus dieser Perspektive ansehen: Hat man mit diesen Filmen gar den Frust über das etwas kurz geratene Tausendjährige Reich in wunderschöne Movie-Bilder aus den Wasserfall- und Karst-Landschaften an der bosnischen Grenze gegossen? Es wäre eine unbemerkte deutsche Rache am Land der Tito-Partisanen gewesen.

Wie auch immer: Winnetou starb als Bekehrter. Längst hatte der Schreiber dieser Zeilen das geradezu beängstigend-schwülstige Ende vergessen, das Karl May seinem Winnetou ins Buch geschrieben hat. Der Erinnerung haben vor gut anderthab Jahrzehnten die Salzburger Osterfestspiele nachgeholfen. Da gab es ein Konzert mit Lesung. Karl May hat ja auch ein klein wenig komponiert, und sein „Ave Maria“ gehört zum Ur-Repertoire deutscher Männerchöre. Den frommen Text hat sich der Tonsetzer Karl May beim Schriftsteller Karl May ausgeborgt. Er stammt aus „Winnetou“!

Die Veranstaltung hätte bei mir bei weitem nicht diese Wirkung hinterlassen, wären da nicht gleich wieder die alten Film-Bilder, das braungebrannte Gesicht von Pierre Brice herauf gekommen. Da las also Tobias Moretti die ans Herz rührenden letzten paar Roman-Seiten, wo die Trapper mit gefalteten Händen und gezogenen Hüten auf einem Felsvorsprung stehen, eben das „Ave Maria“ singend zu den letzten Atemzügen des Apachenhäuptlings. Und da überkam es nicht nur unsereinen, sondern auch Tobias Moretti, der sich in dieser bizarren Szenerie wie in der Natur seiner Tiroler Heimat fühlte: „Winnetou war ein Krischt...“

 

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